«Ich bin stolz auf unsere Arbeit»

Roger Suter

Die Opfiker Gemeinderätin Rebeca Meier hatte im letzten halben Jahr noch ein weiteres Mandat: Sie war Mitglied im Bevölkerungsrat der Schweiz. Dieses 100-köpfige, temporäre Parlament hat sich mit Gesundheitspolitik befasst und Vorschläge ausgearbeitet.

Ausgewählt wurde Rebeca Meier aus ­einer Datenbank des Bundesamtes für Statistik und den beteiligten Institutionen, von denen sie ein dickes Couvert erhielt. «Wir mussten uns ziemlich schnell entscheiden, ob wir da mitmachen möchten», erinnert sich die 25-jährige Studentin der Betriebswirtschaft ans Auswahlprozedere. «Bei mir war das mitten in den Prüfungen. Ich habe mich am letztmöglichen Tag angemeldet.» In einer zweiten Auswahlrunde mussten sie sich und ihre Tätigkeiten vorstellen – etwa, ob man politisch aktiv sei. «Ich dachte zuerst, wenn sie sehen, dass ich schon Politikerin bin, nehmen sie mich wahrscheinlich nicht», erzählt Rebeca Meier. «Ziel war ja, dass die breite Bevölkerung mitreden kann.» Es kam anders, und das habe sie umso mehr gefreut. «Es ist eine Ehre, eine von 100 Personen zu sein, welche die ganze Schweiz repräsentieren. Und ich fand es cool, ein neues Licht für die Demokratie anzuzünden.»

Ein Parlament aus Unbekannten

Angesetzt waren im Winterhalbjahr 2024/2025 drei Treffen und vier Online-Meetings. Eine eigene App half bei der Vorbereitung, denn das Thema Gesundheit ist komplex. «Sie hat geholfen, das Schweizer Gesundheitswesen zu verstehen, damit wir alle die gleiche Basis haben», findet Rebeca Meier. «Sonst kann man ja gar nicht miteinander diskutieren. Und ich habe selber viel gelernt.»

Vom ersten Wochenendtreffen im November 2024 in Zürich habe sie sich einfach mal überraschen lassen. «Ich kannte niemanden, aber ich mag das.» Man habe mit Fachleuten aus der Krankenversicherungsbranche, dem Gesundheitswesen und der Forschung das Schweizer Gesundheitssystem behandelt, sein Solidaritätsprinzip, wieso dieses zum «Problem» werde, sowie die Gründe für die ständig steigenden Prämien. «Dank Simultanübersetzung via Kopfhörer konnten wir uns in der Sprache ausdrücken, in der wir uns am wohlsten fühlen.»

Die weitere Vorarbeit geschah in Gruppen, die sich an den Regionen Nordwestschweiz, Ostschweiz, Romandie, Tessin und Zentralschweiz orientierten. «So ergaben sich Diskussionen, wie sie allein unter Zürchern nicht stattgefunden hätten.» Gespräche etwa mit anderen, die in ihrem Bergkanton nicht mehrere Spitäler zur Auswahl, sondern ein einziges in 40  Minuten Fahrzeit zur Verfügung haben, hätten auch ihr die Augen geöffnet, sagt Rebeca. Am Schluss der zweitägigen Veranstaltung entschieden sich die 100 Teilnehmenden fürs Thema Gesundheitsförderung und Prävention.

Gesprächskultur und Fachwissen

Es folgten drei Online-Treffen, wo weitere Fragen an die Expertinnen und Experten gesammelt und später beantwortet wurden. Beim gemeinsamen Nachtessen traf man sich dann persönlich. Eine leitende Ärztin des Hilfswerks ‹Médecins sans frontières› habe ihr Gesundheitssysteme in Afrika erklärt, die mit viel weniger Geld auskommen müssen – und trotzdem funktionieren. «Das Problem bei uns ist demnach, dass wir zu viel haben und uns nicht mehr fragen, wie man es besser machen könnte», vermutet Rebeca Meier.

Auch im Bevölkerungsrat war eine gewisse Expertise vorhanden: «Wir hatten einige Ärzte dabei, aber auch Lehrerinnen und Schulleiter, die sich im Thema Bildung auskannten. Jemand aus einer Süsswarenfabrik wusste sehr genau über bestehende Vorschriften zu Nahrungsmitteln Bescheid, so dass sich die Diskussion um notwendige Ergänzungen drehen konnte.»

Ebenso toll fand Rebeca Meier im Bevölkerungsrat, dass auch bei heissen Diskussionen jeder seine Meinung ohne Angst vor Reaktionen kundtun konnte. Entsprechende Regeln wurden bereits am ersten Wochenende festgelegt, und ganz oben stand da der Respekt. «Wenn man in meiner Generation nicht die gängige Meinung vertritt, wird man relativ schnell schräg angeschaut», hat die Studentin erfahren müssen. Dafür einzustehen, dass man andere Meinungen nicht teilen, sondern respektieren müsse, sei für sie ein Grund gewesen, in die Politik zu gehen. «Es wäre ein Albtraum, wenn die ganze Welt so denken würde wie ich», findet die 25-Jährige. In der Politik brauche es Leute mit viel mehr Erfahrung genauso wie junge Leute. «Der älteste Teilnehmer war über 90, die jüngste Teilnehmerin 17, und sie beide hatten ganz andere Probleme.»

Möglichst präzise Vorschläge

Im Februar fand ein weiteres Treffen in der Universität Neuenburg statt. Dort wurden die 14 vom Rat vorbereiteten Reformvorschläge diskutiert, bereinigt und 10 davon zur Weiterverfolgung ausgewählt (siehe Artikel unten). «Wir wollten möglichst präzise und konkrete Vorschläge machen», umschreibt Rebeca Meier die Absicht, «damit das Parlament in Bern etwas damit anfangen kann.» Das Wochenende sei entsprechend intensiv gewesen, mit Vorträgen von Fachleuten morgens und Workshops zu allen Reformvorschlägen nachmittags. Mangels Profi-Übersetzern habe man sich diesmal halt zwischendurch mit Händen und Füssen und sprachgewandteren Kolleginnen und Kollegen beholfen – oder auch mal englisch gesprochen. «Es war streng, aber wir haben auch viel gelacht.»

Debatte im Nationalratssaal

Das letzte grosse Treffen fand dann im März in Bern statt, wo man im Saal des Nationalrates und im Beisein von dessen Präsidentin Maja Riniker (FDP, AG) und Anne Lévy, der Direktorin des Bundesamtes für Gesundheit, debattierte. Die Diskussionen seien dabei im Bevölkerungsrat ähnlich verlaufen wie sonst in der Politik, wie ebenfalls anwesende aktuelle und ehemalige Nationalräte wie der Opfiker Jörg Mäder (GLP) bestätigten. «Ein cooles Erlebnis», findet Rebeca Meier. «Und ich habe es geschätzt, dass sich so viele Leute Zeit für uns genommen haben.» In der Abschlussdebatte konnten maximal vier Bevölkerungsräte pro Vorschlag die Argumente in kurzen Statements vertreten; danach wurde definitiv abgestimmt – leider nicht mit den Knöpfen des Nationalrates, sondern mit Aufstehen, bedauert Rebeca Meier. «Es hat sich aber trotzdem toll angefühlt. Gerade Menschen aus kleineren Kantonen sagten mir nachher, dass sie sich im Bevölkerungsrat gehört fühlten.»

Umso mehr freut sie sich, dass sie die Resultate zusammen mit drei weiteren Vertreterinnen und Vertretern an Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider übergeben kann (siehe Artikel unten). «Das wird sicher sehr spannend und ist eine riesige Ehre für mich», findet Rebeca Meier. «Ich bin stolz auf unsere Arbeit und freue mich über die Feedbacks aus dem Nationalrat und dem Bundesamt für Gesundheit.» Doch gerade dort beschäftigen sich doch Fachleute intensiv mit solchen Fragen. Sind da weitere Vorschläge nicht fehl am Platz? «Ich glaube nicht», so Meier. «Das BAG muss seine gekürzten Ressourcen neu einteilen, weg von der Prävention. Vielleicht kommen unsere Ideen dazu ja gelegen.»

 

Weitere Artikel zum Bevölkerungsrat:
https://www.stadt-anzeiger.ch/region/artikel/wie-man-demokratie-auch-noch-praktizieren-koennte
https://www.stadt-anzeiger.ch/region/artikel/bevoelkerungsrat-2025-zusammensetzung-und-vorschlaege

https://www.stadt-anzeiger.ch/region/artikel/ich-bin-stolz-auf-unsere-arbeit
https://www.stadt-anzeiger.ch/region/artikel/opfifon-eine-steilvorlage-fuer-die-politik

Gwunderbrunnen

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