Zahnpasta und Zeit
Wenn etwas Spuren der Abnutzung zeigt, sagen wir gern, dass da der Zahn der Zeit am Werk war. Davon ist aber hier nicht die Rede. Mir geht es nur um Zahnpasta, genauer, um eine Tube Zahnpasta und die Zeit.
Ich muss etwas vorausschicken. Vor kurzem habe ich meine Zahnpasta im Laden nicht gefunden und eine andere gekauft. Vom Inhalt her ist der Unterschied, was ich gelesen habe, kein grosser. Und doch ist da etwas ganz anders. Und dieses «Anders» stört mich, mehr als mir lieb ist. Es handelt sich um eine Kleinigkeit, die mit Zeit, und nur mit ganz wenig Zeit, zu tun hat. Sie werden es kaum erraten. Aber der Tubendeckel dreht sich auf einem Gewinde, das viel länger ist als das meiner üblichen Zahnpastatube. Bei der mache ich nur eine Drehung, und der Deckel ist ab. Bei dieser neuen Tube sind es wenigstens drei Drehungen, die ich machen muss, um an meine Zahnpasta heranzukommen.
Nun sage ich mir selber: Was solls? Da geht es um den Bruchteil einer Sekunde. Diese Tube raubt dir kein bisschen deiner Lebenszeit. Und trotzdem, wann immer ich mir die Zähne putze, stören mich die zwei Umdrehungen, die ich zusätzlich machen muss.
Noch mehr stört mich, dass mich das überhaupt stört. Dass ich meine, ich verpasse etwas. Denn dieser vermeintlich verlorene Bruchteil einer Sekunde verschwindet unbemerkt in den Stunden des Tages.
Ich gehe mal davon aus, dass der Hersteller meiner ursprünglichen Zahnpastatube mein Problem kannte und darum seiner Tube ein schnelleres Gewinde aufgesetzt hat. Er hat dabei sicher nicht an mich gedacht. Ab ich bin ihm trotzdem dankbar. Auch wenn ich eigentlich mit seinem besseren Gewinde weder Zeit gewinne noch verliere.
Nun könnte ich selbstkritisch fragen, ob ich nicht mit dem Schreiben – und Sie mit dem Lesen – dieses Textes Zeit verloren haben. Ich hoffe nicht, auch wenn es nicht im Handumdrehen getan war.
«Wann immer ich mir die Zähne putze, stören mich die zwei Umdrehungen, die ich zusätzlich machen muss.»
Friedjung Jüttner, Dr. phil., Psychotherapeut