Wo die Biodiversität gefährdet ist
Ein Spaziergang durch Glattbrugg offenbart: Es gibt noch viel zu tun, wenn wir die Biodiversität schützen wollen. Die revidierte Freisetzungsverordnung mit Verboten für 75 invasive Neophyten ist ein Schritt in die richtige Richtung.
Derzeit sind mit dem Japankäfer invasive gebietsfremde Arten ein grosses Thema. Die Stadt Opfikon hat vergangene Woche zu einem Spaziergang durch Glattbrugg eingeladen, auf dem es um schädliche eingeschleppte Pflanzen ging.
Was sind überhaupt Neophyten, also «neue Pflanzen»? «Grundsätzlich alles, was nach der Entdeckung Amerikas nach Europa kam», erläutert Eva Bantelmann. Die Bereichsleiterin Umwelt bei der Stadt Opfikon betont aber, dass die meisten dieser Arten nicht schädlich sind. Kartoffeln, Mais und Tomaten werden als Nahrungs- oder Futtermittel angebaut. «Es gibt bei uns 1305 gebietsfremde etablierte Arten», so Bantelmann: 430 Tiere, 145 Pilze und 730 Pflanzen. «Nur rund 200 Arten, davon etwa 90 Pflanzen, sind invasiv, verdrängen also einheimische Arten und bedrohen so die Biodiversität.» Dies oft deshalb, weil in dieser neuen Umgebung keine Fressfeinde oder Konkurrenten vorhanden sind, welche die Ausbreitung im Zaum halten. Der Japankäfer ist in seinem Herkunftsland zum Beispiel kein grosses Problem.
Fokus auf Wohnquartiere
Die Biologin Eva Bantelmann beschäftigt sich seit über 15 Jahren mit dem Thema und hat unter anderem die Koordinationsstelle Neobiota im Kanton Aargau aufgebaut und geleitet. Sie führte die Handvoll Teilnehmerinnen und Teilnehmer vom Stadthaus entlang der Talacker- und der Giebeleichstrasse zum Bahnhof Glattbrugg und durch die Bruggackerstrasse wieder zurück. Dass der Spaziergang durch Wohnquartiere führte, ist kein Zufall, denn die meisten problematischen Pflanzen sind extra als Zierpflanzen eingeführt worden und verbreiteten sich aus den Gärten in die freie Natur. So traf die Gruppe auch schon bald auf Sommerflieder, Götter- und Essigbaum, Kirschlorbeer, Korallenstrauch (Cotoneaster) und die Rote Spornblume, welche noch relativ neu ist, sich aktuell ausbreitet und gemäss Kanton beobachtet werden soll. Bislang war dem aber nicht beizukommen: Ein Verkaufsverbot gab es nur für einige wenige Pflanzen. Ambrosia, der Riesenbärenklau und das Schmalblättrige Greiskraut müssen im Kanton Zürich als Einzige auch von privaten Gartenbesitzern bekämpft werden. Die Liste der invasiven Neophyten ist aber um ein Vielfaches länger, und die meisten – auch problematische – waren im Verkauf bislang nur mit einem Hinweis auf die «Sorgfaltspflicht» versehen. Das hinderte sie aber nicht am Versamen. Ein Beispiel hat Eva Bantelmann kürzlich im Walliser Lötschental entdeckt: Dort spriesst die Vielblättrige Lupine inzwischen bereits auf einigen Bergwiesen und verdrängt dort seltene Orchideen.
Verschärfte Regeln vom Bund
Per 1. September setzt der Bund mit der revidierten Freisetzungsverordnung nun zwei Listen in Kraft. Sie führen invasive Neophyten auf, für die ein Umgangs- oder neu ein Verkaufsverbot gilt. Zu dem bisherigen runden Dutzend Arten, die bisher verboten waren, kommen noch einmal so viele hinzu, für die sowohl ein Verkaufs- als auch ein Umgangsverbot gilt (siehe Kasten). Die zweite Liste enthält 31 Arten, die ab 1. September nicht mehr verkauft werden dürfen. Beim Ausreissen ist darauf zu achten, dass keine Wurzeln im Boden verbleiben oder Samen verstreut werden. Entsorgen muss man die aufgelisteten Gewächse so, dass sie sich nicht weiterverbreiten können, also im Kehricht, nicht im Kompost.
Zaungespräch statt Brief der Stadt
So darf etwa der beliebte Sommerflieder, einst als «Schmetterlingsstrauch» gepriesen, ab 1. September nicht mehr verkauft, aber im eigenen Garten weiterhin gepflegt werden. Wer solch eine Pflanze im Garten hat, muss gemäss Sorgfaltspflicht dafür sorgen, dass die Pflanze sich vom Garten aus nicht weiterverbreitet. Für den Sommerflieder und den Kirschlorbeer bedeutet das, die Blütenstände nach der Blüte und vor der Samenreife abzuschneiden und im Kehricht zu entsorgen. Darüber hinaus gibt es rechtlich keine Handhabe: An Bahnborden und Strassenrändern sollte man auch offiziell Invasives nicht einfach ausreissen. Verantwortlich sind hier die Grundbesitzer, also etwa die SBB, der Kanton oder das Bundesamt für Strassen. Alle drei haben kaum die Mittel, wirksam gegen die Gewächse vorzugehen. «Einmaliges Ausreissen bringt bei fortgeschrittener Ausbreitung leider nichts, es braucht dann mehrmals jährlich eine Bekämpfungsaktion, und dies mehrere Jahre lang, um einen invasiven Art nachhaltig zu bekämpfen», weiss Eva Bantelmann. Die Gruppe ist inzwischen bei der Brücke angelangt, wo die Schaffhauserstrasse über die Trassen von Glattalbahn und SBB führt. Am Bahndamm spriessen die Amerikanische Goldrute und das Einjährige Berufkraut im Dutzend und werden fürs nächste Jahr viele weitere Samen bilden.
Neue Liste ab 1. September
Am 1. September tritt mit der revidierten Freisetzungsverordnung eine neue, stark erweiterte Liste in Kraft, die invasive Neophyten mit Umgangs- und Verkaufsverbot auflistet.
Sie ist dabei in zwei Teile gegliedert: Für die 22 Pflanzen im Anhang 2.1 gilt ein Umgangsverbot: Es verbietet sämtliche beabsichtigten Tätigkeiten mit den aufgeführten Organismen, also etwa das Pflanzen, Giessen, Verkaufen oder Zu-Sträussen-Binden. Einzig die Bekämpfung ist erlaubt.
Das Inverkehrbringungsverbot (gilt für die 31 Pflanzen im Anhang 2.2) hingegen verbietet nur den Import und die Weitergabe dieser Pflanzen an Dritte, zum Beispiel das Verkaufen oder Verschenken. Wer eine hier aufgelistete Pflanze im Garten hat, darf sie unter Einhaltung der Sorgfaltspflicht weiterhin pflegen.
Damit am Ursprungsort der Ausbreitung von invasiven Neophyten, in den Gärten, etwas getan wird, setzt die Stadt neu aufs Gespräch: Sogenannte Neophytenberatende sollen Gartenbesitzer im gutnachbarschaftlichen Schwatz über den Gartenzaun auf problematische Gewächse aufmerksam machen. Diese Freiwilligen, welche sich gern bei Eva Bantelmann melden können, werden speziell geschult. Zudem ist ein zweiter Neophytenspaziergang mit einer anderen Route durchs Stadtgebiet geplant: am Samstag, 14. September, von 9.30 bis 11 Uhr. Treffpunkt vor dem Stadthaus Opfikon, Oberhauserstrasse 25. Eine Anmeldung ist bis Donnerstag, 12. September, erwünscht.
Biodiversitätsspaziergang
Für Interessierte bietet Eva Bantelmann noch einen zweiten «Neophyten-Spaziergang» (andere Route) an: am Samstagvormittag, 14. September.
Angepasste Freisetzungsverordnung per 1. Sept. 2024 : bit.ly/3T1UvRV
Sa, 14. Sept., 9.30 Uhr, Oberhauserstr. 25; www.opfikon.ch/anlaesseaktuelles/6179536