Vom Wissen und vom Nichtwissen
Jeder von uns hat im Laufe seines Lebens eine grosse Menge an Wissen angehäuft. Und das auf den verschiedensten Gebieten: Geschichte, Politik, Sport, Ernährung oder was auch immer. Und wenn man mal etwas Spezielles wissen musste, dann sah man früher im Brockhaus nach.
Heute macht man sich mit Wikipedia schlau. Wissen, wo man Wissen finden kann, ist bereits Wissen. Aber sicher ist, dass unser Nichtwissen um ein Vielfaches grösser ist als unser Wissen.
Wenn ich am Morgen in die Zeitung schaue, wird mir ein Haufen Wissen angeboten, das ich gar nicht brauche. Mithilfe der Schlagzeilen selektioniere ich, was mich interessiert, und das lese ich dann. Ob ich damit auch mein Wissen bereichere, ist eine andere Frage, die ich mir eigentlich nicht stelle.
Ab und zu gibt es aber auch Texte, nicht nur in der Zeitung, bei denen ich mir sage: Das möchte ich jetzt genau wissen. Wie lange ich dieses Wissen behalte und mich daran erinnere, ist dann wieder ein anderes Thema. Meine Vergesslichkeit nimmt rasant zu.
«Sicher ist, dass unser Nichtwissen um ein Vielfaches grösser ist als unser Wissen.»
Auch wenn wir täglich unser Wissen aufbessern, es bleibt verschwindend klein gegenüber unserem Nichtwissen. Das hat den alten Philosophen Sokrates dazu bewogen zu sagen: «Ich weiss, dass ich nichts weiss.» Vermutlich hat er das mit einem verschmitzten Lächeln gesagt, denn es war ihm sicherlich voll bewusst, dass seine Aussage nicht ganz stimmen kann. Sein angebliches Nichtwissen ist nicht ohne Wissen denkbar. Sein Satz beginnt nämlich mit: «Ich weiss ...» Auch Nichtwissen ist ein Wissen.
Und noch bedenkenswerter ist die Tatsache, dass wir über existenziell ganz bedeutsame Phänomene wie Leben, Liebe oder auch Zeit eigentlich nichts wissen. Es wird viel darüber geredet oder geschrieben, aber was sie eigentlich sind, entzieht sich unserer Kenntnis. Ich vermute, Sokrates konnte gerade deswegen sagen, dass er nichts weiss.
Der in letzter Zeit viel erwähnte Philosoph Kant hat sich gefragt: «Was kann ich wissen?» Seine hier verkürzt wiedergegebene Antwort lautet: «Nur das, wo Vernunft und Sinneswahrnehmung zusammenspielen.» Da fällt vieles, was manche zu wissen meinen, weg. Und von dem vielen, was man wirklich wissen kann, wissen wir oft auch nur wenig.
Da finde ich tröstlich, was Marie von Ebner-Eschenbach gesagt hat: «Genug weiss niemand, zu viel so mancher.» An folgendem Ausspruch von ihr hätte Sokrates seine Freude gehabt: «Man muss schon etwas wissen, um verbergen zu können, dass man nichts weiss.»