Vom Lob der Torheit

Friedjung Jüttner

Gehört das Wort «Torheit» noch zu Ihrem aktiven Wortschatz? Oder bezeichnen Sie manche Menschen als Toren? Ich nicht. Was muss man eigentlich unter einem Toren oder der Torheit verstehen? Auch das ist gar nicht so einfach zu beantworten, weil ein Tor den einen dumm erscheinen mag, es aber für andere gar nicht ist.

Der Humanist Erasmus von Rotterdam (1465–1536), ein Zeitgenosse Luthers, war Theologe, Priester, Philosoph, Übersetzer, Autor, also für damals ein Universalgelehrter. Er hat ein kleines Büchlein geschrieben mit dem oben genannten Titel: «Vom Lob der Torheit.» Das lässt aufhorchen. Wie kommt er auf die befremdliche Idee, die Torheit zu loben? Er schreibt dann auch noch Sätze wie: «Die Torheit macht das Leben angenehm.» Oder: «Es gibt einfach keinerlei Gemeinschaft ohne Torheit.» Ich habe lange gebraucht, bis mir aufgegangen ist, was Erasmus mit seiner Torheit wirklich sagen wollte. Ich komme gleich darauf zurück.

«Torheit setzt Intelligenz voraus, setzt aber auf ein anderes Wertesystem.»

Friedjung Jüttner, Dr. phil., Psychotherapeut

Zuerst aber noch etwas zum Buch. Erasmus überhäuft den Leser förmlich mit seinem reichen Wissen griechischer und römischer Mythologie sowie der profunden Kenntnis alter Philosophen. Dieses Wissen benutzt er, um gegen die Missstände und Irrtümer seiner Zeit in ironischer Weise anzukämpfen. Daher auch der Titel seines Buches. Es gibt niemanden, der vor seinen satirischen Angriffen gefeit bleibt: Die Staatsmänner, die Philosophen, die Theologen, also auch er selbst schliesst sich nicht aus. Natürlich kommen die Priester, die Mönche, die Bischöfe und der Papst von damals gar nicht gut weg. Da hat sich – gottlob! – in den inzwischen fünfhundert vergangenen Jahren viel (wenn auch nicht genug) gebessert.

Über lange Strecken hatte ich den Eindruck, die Torheit steht bei Erasmus höher im Kurs als das Wissen. Einmal sagt er das sogar: «Dumm scheinen zur rechten Zeit, ist gar grosse Weisheit.»

Im letzten Teil seines Buches beruft sich Erasmus ständig auf die Bibel, besonders auf den Apostel Paulus, um seine These von der Wichtigkeit der Torheit zu untermauern. Im Neuen Testament wimmelt es nur so von Hinweisen auf die Torheit. Das war mir gar nicht so bewusst. Auf den letzten Seiten seines Buches spricht Erasmus dann einmal von «Herzenseinfalt». Da hat es bei mir endlich – klick – gemacht: Mit Torheit meint er eigentlich nicht Dummheit. Denn Dummheit ist mangelnde Intelligenz. Torheit setzt Intelligenz voraus, setzt aber auf ein anderes Wertesystem; eines, das sich vom gesunden Menschenverstand leiten lässt. Torheit ist für ihn darum dem Wissen überlegen. Darum kann Erasmus auch sagen: «Oft hat auch ein törichter Mann vernünftig gesprochen.» Und er fügt an dieser Stelle hinzu, was ich ihm hoch anrechne: «Ich glaube, dass gilt auch für die Frau.» Nicht ganz selbstverständlich für einen Theologen von damals.

Das verleitet mich zu folgendem Schlussgedanken: Ich wünschte mir, dass die Herren im Vatikan, wenn es um Frauen und kirchliche Ämter geht, statt auf Tradition und Theologie zu pochen, der Torheit etwas mehr Spielraum überliessen.