Vielfalt beim Holzbau nimmt zu

Tobias Hoffmann

Seit 2015 kann Holz in allen Gebäudekategorien und in allen Nutzungen angewendet werden. Ausserdem nimmt das Bedürfnis nach nachhaltigem Bauen weiter zu. So erweitern sich die Konstruktionsformen im Holzbau deutlich. Vier Beispiele aus Gemeinden rund um Zürich.

Am 2. September 1666 sprangen die Flammen aus einer Backstube in London auf die umliegenden Häuser über. Der Brand weitete sich unaufhaltsam aus, und am Ende war beinahe die gesamte mittelalterliche Bausubstanz Londons zerstört. Übrig blieb unter anderem der Tower, aber das auch nur, weil man, um ihn zu retten, die umliegenden Häuser gesprengt hatte. Mutmasslich etwa 13 000 Gebäude waren zerstört, die Stadt musste neu aufgebaut werden. Holzbauten waren fortan verboten, und es galt eine Mindeststrassenbreite.

Das war einer der grössten Stadtbrände der Menschheitsgeschichte, aber nur einer von vielen. Dennoch blieb Holz bis weit ins 19. Jahrhundert der wichtigste Werkstoff, auch wenn sich das nicht immer deutlich offenbart, denn viele Fachwerkbauten wurden traditionsgemäss verputzt. Angesichts enger Bebauung und ungenügender Schutzmassnahmen, begünstigt durch starke Winde, Trockenheit oder kriegerische Einwirkungen, gingen reihenweise Städte in Flammen auf, manchmal sogar, wie Wien zum Beispiel, gleich mehrmals.

Ein fast holzloses Jahrhundert

Man muss es fast ein Wunder nennen, dass sich dennoch viele Holzbauten, stellenweise sogar ganze Altstädte, bis heute ­erhalten haben. Eines der berühmtesten Zeugnisse ist die Stadt Quedlinburg im nördlichen Mitteldeutschland mit über 2000 Fachwerkbauten. Nicht von ungefährt steht sie auf der Unesco-Welterbe-Liste. Auch in der Schweiz gibt es noch zahlreiche Fachwerkbauten, hierzulande Riegelhäuser genannt, allerdings eher im Dorf als in der Stadt, namentlich im Zürcher Weinland (Stammheim, Mar­thalen) sowie im Thurgau.

Ende des 19. Jahrhunderts wurde Holz allmählich durch Stahl und Beton ersetzt und spielte jahrzehntelang kaum mehr eine Rolle. Ab den 1970er-Jahren erprobte man jedoch neue Konstruktionsmethoden, und seit rund 20 Jahren ist eine regelrechte Holzbaurenaissance zu beobachten. Die neuen Methoden und neue Baugesetze ermöglichen heute sogar Hochhausbauten. Es ist so etwas wie ein Wettbewerb um das höchste Hochhaus aus Holz ausgebrochen, und zurzeit sind namentlich in Skandinavien ganze Stadtteile in Holzbauweise in Planung. Die Schweiz mischt vorne mit, so mit dem 100  Meter hohen Wohnhochhaus Rocket in der Winterthurer Lokstadt.

Es gibt natürlich auch zahlreiche Hybridbauten, bei denen zum Beispiel die Tragstruktur aus Stahlbeton besteht. Doch die technische Entwicklung erlaubt mittlerweile Tragwerksteile aus Holz. Die spezifischen Vorteile von Holz liegen im deutlich tieferen Eigengewicht des Materials bei hoher Festigkeit und in der Möglichkeit, die Bauteile im Voraus zu fertigen. Von zen­traler Bedeutung ist auch, dass Holz als nachwachsender Rohstoff die Nachhaltigkeit des Bauens verbessert und ausserdem nach dem Abbruch wiederverwendet werden kann, zumindest für die Wärmeerzeugung durch Verbrennen.

Ideal für die Nachverdichtung

Um den Bodenverschleiss zu minimieren, ist heute die Nachverdichtung von Städten oberstes Gebot. Holz bietet da grosse Vorteile: Es beschleunigt dank der Vor­fertigung die Bauprozesse, wodurch das Wohnumfeld geschont wird. Aus statischen Gründen sind Aufstockungen in Holzbauweise oft die einfachste und preisgünstigste Variante. Ein Modellbeispiel ist das Gebäude «Pile up» beim Bahnhof Giesshübel in Zürich-Wiedikon. Das renommierte Büro Burkhalter Sumi setzte hier vier Wohngeschosse auf ein zweigeschossiges Bahnbetriebsgebäude.

Aber auch in weniger dicht bebauten Gebieten ist Holz gefragt. Im Folgenden werden vier Beispiele aus Gemeinden rund um Zürich vorgestellt. Die Informationen dazu stammen von den beteiligten Architekturbüros. Um deren Erläuterungen allgemein verständlich zu machen, haben wir sie wohl hie und da bis an die Grenze des Erlaubten vereinfacht.

Schulanlage Bubenholz, Opfikon

Der vor drei Jahren durch die Stimmbevölkerung Opfikons bewilligte Neubau der Schulanlage Bubenholz geht der Vollendung entgegen. Der Standort der Anlage machte die Bauaufgabe speziell: Sie kam auf und an dem nördlichen Ende der Auto­bahnüberdachung zu stehen. Die Gewinner des Architekturwettbewerbs, Adrian Streich Architekten (ASA) aus Zürich, platzierten den Trakt mit Turnhalle, Singsaal und Psychomotorik-Therapieräumen auf dem nördlichen Ende des Deckels, wo er auch als Lärmschutz dient. Der eigentliche Schultrakt mit seiner auffällig gefalteten Fassade steht am westlichen Rand des Deckels.

Holz spielt bei beiden Gebäuden eine wesentliche Rolle, aber nicht die einzige. Da der Turnhallentrakt seine Lasten nur an drei Stellen an das Autobahnbauwerk abgeben könne, erläutert Tobias Lindenmann von ASA, habe sich eine Realisierung in Holz von Anfang an aufgedrängt. Der Schultrakt mit seiner flexiblen Raumstruktur hingegen sei als Holz-Beton-Skelettbau ausgeführt.

Das bedeutet, dass die tragenden Stützen aus Holz bestehen, die Holz-Beton-Verbunddecken jedoch auf einem Netz von Betonunterzügen (Entlastungsträger) ruhen. Die Fassade hat keine Verkleidung aus Holz, sondern aus lasierten Eternitplatten, die Lindenmann als robust und nachhaltig bezeichnet. Aufgelockert wird die Fassade immerhin von vertikalen Holzelementen. Sie seien mit einem Vorvergrauungsanstrich versehen, «der die natürliche Alterung schon berücksichtigt». Wenn sie zu sehr verwittert seien, könnten sie leicht ausgetauscht werden. Die tragenden Holzstützen hingegen befänden sich, so Lindenmann, gut geschützt im Innenraum.

Verwendet wurde nachhaltiges Schweizer Holz mit Zertifikat: Fichte und Tanne für die Konstruktion und Eiche für die Brandschutztüren und das Parkett.

Wohn- und Bürogebäude Baggiwood, Wallisellen

In diesem Jahr feiert die als Schreibmaschinenreparaturwerkstätte in Zürich gegründete Firma Baggenstos, die sich 1983 beim Bahnhof Wallisellen ansiedelte und in der Folge zum IT-Dienstleister weiterentwickelte, ihren 100. Geburtstag. Etwas vorgezogen hat sie sich zum Jubiläum am gleichen Standort einen neuen Firmensitz geschenkt, der im Dezember 2023 bezogen wurde: Baggiwood heisst das Büro- und Wohngebäude, in dessen Parterre sich die Firma befindet, während auf drei Geschossen darüber gewohnt wird. Nicht nur der Name des Gebäudes verrät, dass Holz hier die Hauptrolle spielt, sondern auch die Fassade. Nachhaltigkeit sollte auf Wunsch des Auftraggebers an oberster Stelle stehen.

Ein reiner Holzbau ist aber auch dieses von CH Architekten (CHA) aus Wallisellen geplante Gebäude nicht. Patrick Lüthi von CHA erklärt das damit, dass die beiden Treppenhäuser aus Brandschutzgründen in Beton ausgeführt werden mussten. Ebenso der Laubengang auf der Nordseite des Gebäudes (auf dem Bild nicht zu sehen), da er auch als Fluchtweg dient.

Primär erschliesst der Laubengang die 24 kleinen Mietwohnungen, ist aber auch als Begegnungsort gedacht, ebenso wie die Terrasse mit Pergola auf dem vorspringenden Teil des Erdgeschosses. ­Sowohl die Bewohnenden wie auch die Beschäftigten dürfen sie nutzen. Ihre auffällige rostrote Einfärbung wird im obersten Geschoss wieder aufgenommen, das damit als eine Art Attika markiert ist.

Jenseits der Holzthematik wollen wir hier noch die besondere Energieerzeugung erwähnen. Laut Lüthi wird in einem Eisspeicher im Untergeschoss dem Wasser Energie entzogen, bis es gefriert. Mit der Energie von Kollektoren auf dem Dach wird das Eis wieder aufgetaut – und der Kreislauf beginnt von neuem. 

Wohngebäude Kibako, Kloten

Kibako klingt exotisch und ist auch exotisch, genauer: japanisch, und bedeutet Holzkiste. Die «Holzkiste», ein von Züst Gübeli Gambetti Architektur und Städtebau AG aus Zürich geplanter Wohnbau, soll im Herbst bezugsbereit sein. Und sie hat es in sich. Das Bauprojekt auf einer grünen Zunge im Norden von Kloten, zwischen Industrie- und Einfamilienhausgebiet, weist ein ungewöhnliches Konzept auf. Kibako enthält 10 Mikroappartements, 10 Mikromaisonettes und 10 Ateliers in einem Holzbau mit tragenden Massivwänden aus vorfabriziertem Brettsperrholz.

Er zeigt gemäss Roman Züst, dem federführenden Architekten, eine Fassadenschalung mit vertikalen Deckleisten, «die eine lebendige Reliefwirkung und Schattenbildung evozieren». Die Vorvergrauung des Holzes sorge für «Beständigkeit und minimierten Unterhalt bei ‹ästhetischer Stabilität› des Erscheinungsbildes». Visuelle Akzente setzen ausserdem die hellgrün oder hellblau gefärbten Fensterlaibungen. Das Innere habe, so Züst, aus Brand- und Schallschutzgründen komplett mit Gipskartonplatten verkleidet werden müssen: «Das Holz durfte lediglich in den Deckenuntersichten sichtbar bleiben.» Eine aufliegende Kiesschicht stelle den Brandschutz zwischen den Geschossen sicher.

Die Kleinheit der Räume wird durch raffinierte Grundrisse und sorgfältige «Möblierung» mit Einbauschränken, Nischen und Schlafkojen kompensiert. Zuunterst befinden sich präzise gefügte Maisonettes, eine Etage darüber Ateliereinheiten, zuoberst ein überhohes Wohngeschoss mit plastischem Dachraum. Dazu kommen Gemeinschaftsräume als Dreh- und Angelpunkte für die Bewohnerschaft. So kommt zur ökologischen Nachhaltigkeit auch eine soziale Komponente.   

Mehrfamilienhäuser Tägermoos, Küsnacht

Wenige Dutzend Meter östlich des Küsnachter Schübelweihers, an der Tägermoosstrasse 20 und 22, befinden sich zwei filigran wirkende Wohnhäuser mit grossen Fensterfronten. 2012 wurden sie auf der Grundlage von Plänen des Architekturbüros Kämpfen Zinke + Partner fertiggestellt. Beat Kämpfen, Co-Geschäftsführer des Büros, spricht von ihnen als «Pionierbauten des modernen und ökologischen Holzbaus».

Die Anwendung eines Holzplattensystems aus verleimten Fichtenholzlagen habe es ermöglicht, Wände und Decken schlank zu halten. Für die Fassade wurde eine vertikale Schalung verwendet, die, so erläutert Kämpfen, das Haus «optisch in die Höhe zieht». Das ursprüngliche Hellbraun des Lärchenholzes hat sich seither in Grau verwandelt. Dieses stammt von einem Pilz auf der Oberfläche, der durchaus nützlich ist: Er schützt das Holz vor der Witterung. Die Südfassade werde mit der Zeit eher anthrazitfarben, wie Kämpfen sagt – aufgrund der stärkeren UV-Einstrahlung. Das Holz stammt laut Kämpfen «aus Gründen der Nachhaltigkeit» ausschliesslich aus der Schweiz.

Die Treppenhäuser bestehen aus Beton. Heute hätte man auch sie in Holz fertigen können. 2015 nämlich änderten sich aufgrund der technischen Entwicklung die Brandschutzvorschriften: Holz kann seither in allen Gebäudekategorien und in allen Nutzungen angewendet werden. Was die Holzkonstruktionen der Häuser Tägermoos betrifft, seien sie, so Kämpfen, so ausgelegt, «dass die Bewohner im Brandfall 60 Minuten Zeit haben, um das Haus zu verlassen, bevor einzelne Teile nicht mehr stabil genug sind».

Nicht primär mit dem Holz zu tun hat die hervorragende Energiebilanz der Gebäude: Dank Passivwärme, Photovoltaik und Wärmepumpe gehören sie zu den ersten Mehrfamilienhäusern, die das Minergie-P-Eco-Label erhielten.