Selbstvertrauen ist politisch

Seit ich mit 16 politisch aktiv wurde, konnte ich schon mit Hunderten Menschen Gespräche führen und mich von ihren persönlichen ­Sorgen bewegen lassen. Viele von ihnen haben mir gesagt, sie würden sich nicht mit Politik befassen, weil sie dafür nicht intelligent oder informiert genug seien.

Unabhängig vom Thema ist für mich das mangelnde Selbstvertrauen von unsBürgern/-innen (und Nichtbürgern/-innen!) ein schlechtes Zeichen für unsere gemeinsame Problemlösung und die Demokratie. Denn es kommt nicht darauf an, ob es um komplexe Sachverhalte wie die Pension oder eine «einfache» Kreditsprechung für eine Sanierung geht.

Wir vergessen oft, dass wir in Opfikon, Oberhausen, Glattbrugg und dem Glattpark in einem ehemaligen Sumpf leben. Jahrhunderte menschlicher Arbeit haben daraus einen Wohnraum für 21 000 von uns Opfikerinnen und Opfikern gemacht. Wir haben in der Vergangenheit viel bewegt. Aber obwohl wir mehr Möglichkeiten als je zuvor haben, hält sich die Gestaltung durch unsere Gemeinschaft in Grenzen.

Als Kinder waren wir noch voller Gestaltungsdrang! Was wäre, wenn unsere Stadt wieder ein Sumpf wäre? Oder alle in einer Villa leben würden? Natürlich sind diese Szenarien nicht möglich, sie sind aber Gedankenexperimente, die unseren Horizont erweitern. Sie stellen uns vor diese «kindlichen» oder «utopischen» «Was wäre, wenn ...?»-Fragen, die den grössten Unterschied machen können.

«Wir müssen mehrwagen und demokratisch gestalten, um voran­zukommen.»

Allan Boss, SP-Gemeinderat Opfikon

Vor 60 Jahren war es zum Beispiel noch undenkbar, Altstädte autofrei zu machen, es wurde als behindernd und wirtschaftsschädlich angesehen. Aber seither sind diese Stadtzentren aufgeblüht, weil wir in den grossen sowie nun auch in den kleinen Städten einen Sprung ins Ungewisse machten. Wir müssen mehr wagen und demokratisch gestalten, um voranzukommen.

Aus der Perspektive einer Gemeinde gibt es hierzu zwei breit zugängliche Werkzeuge: die üblichen politischen Rechte des Wählens und Abstimmens, die Bürgerinnen und Bürger sowieso besitzen. Aber 40 Prozent von uns tun dies nicht, weil sie nicht Schweizerinnen und Schweizer sind! In diesem Fall haben unsere nicht schweizerischen Mitbewohnerinnen und Mitbewohner geringere Gestaltungsmöglichkeiten, viele Schweizerinnen und Schweizer trauen ihren Nachbarinnen und Nachbarn nicht zu, dass sie mit dieser Verantwortung umgehen können oder dieses Recht haben sollen. Obwohl sie auch Teil unserer Gemeinschaft sind und diese Stadt mitgestalten. Das ist das Misstrauen in «die Anderen», das es zu bekämpfen gilt, wenn wir als Stadt zusammenhalten und das Potenzial von uns allen entfalten wollen.

Ein weiteres Werkzeug, um den Gestaltungsdrang von uns Bewohnenden geltend zu machen, sind «partizipative Prozesse» (deren erstes Wort sich wie ein Zungenbrecher anfühlt). In einem Gestaltungsprozess der Verwaltung (z.  B. dem Bau eines Spielplatzes) öffnet diese den Arbeitsprozess für eine bestimmte Zeit nach aussen, um die Meinung von Anwohnenden, Nutzenden oder Bewohnerinnen und Bewohnern der Gemeinde abzuholen. Diese Partizipation ist eine neuere Entwicklung und unterstützt die Verwaltung bei ihrer Arbeit – denn wenn wir schon während der Erarbeitung gehört werden und unsere Kreativität auch Einfluss hat, bedeutet das auch weniger Einsprachen und somit weniger Arbeit für die Verwaltung. Aber noch wichtiger ist, dass wir, die Menschen, die in dieser Stadt leben, mehr mitreden können.

Mitzureden heisst, informiert zu sein, Erfahrung zu sammeln und die Schwelle für die eigene Einmischung zu senken. Mitzureden stärkt den Gemeinsinn, das Vertrauen in die Demokratie, die Gemeinde und die Mitmenschen. Und letztlich fördert die Mitsprache das Selbstvertrauen, das nötig für all diese Arbeit ist.

In der Rubrik «Aus dem Gemeinderat» schreiben Opfiker Gemeinderätinnen und Gemeinderäte sowie andere Behördenmitglieder regelmässig Beiträge. Sämtliche im Parlament vertretenen Parteien bekommen hierzu Gelegenheit.