Nicht mehr der Jüngste
Gedankensplitter
Wir verstehen alle, was jemand meint, wenn er sagt: «Ich bin nicht mehr der Jüngste.» Haben Sie das auch schon mal von sich gesagt? Wenn ja, dann wollten Sie doch ausdrücken, dass Sie ein Alter erreicht haben, dem einiges von dem abgeht, was für einen jungen Menschen noch normal ist. Man wendet diesen Spruch auch auf Gegenstände an. Sie könnten beispielsweise sagen: «Mein Auto ist nicht mehr das Jüngste.» Man redet von etwas Jungem, obwohl man das Alter meint. Oder etwas genauer: Statt alt sagt man: nicht mehr jung. Das ist vermutlich ein zaghafter Ablenkungsversuch von unserem Alter und dem, was damit zusammenhängt. Auffällig ist dabei auch die Wortwahl. Denn die meisten von uns wissen gar nicht, wie es ist, der Jüngste zu sein. Aber darauf kommt es gar nicht an. Wichtig scheint dabei nur, das Wort «alt» umgehen zu können. Und das dann noch mit dem Gegenteil von alt. Vom alten Knaben, vom alten Knacker oder vom älteren Semester zu reden, klingt wirklich nicht so nett, obwohl es auch zutrifft.
Doch manchmal kommen wir um das Wörtchen «alt» nicht herum. Wir reden dann vom vorgerückten oder fortgeschrittenen Alter. Es klingt schon fast poetisch, vom «gehobenen» Alter zu sprechen statt vom hohen Alter.
«Da klingt vermutlich auch etwas Wehmut mit, die der verlorenen Jugend noch leise nachtrauert.»
Worauf ich hinauswill: Wir neigen dazu, das Alter, das ja naturgemäss immer beschwerlicher wird, möglichst etwas schönzureden. Wenn jemand sagt, er sei nicht mehr der Jüngste, gibt er zu, alt zu sein, aber er macht das mit dem Hinweis auf die Jugend, auch wenn er nicht mehr dazugehört. Da klingt vermutlich auch etwas Wehmut mit, die der verlorenen Jugend noch leise nachtrauert. Lieber von der Jugend reden als vom Alter.
Aber eigentlich ist es nur für uns selbst bedeutsam, ob wir jung oder alt sind. Dabei wissen wir meistens nicht einmal, wann bei uns selbst der Wechsel vom Jung- zum Altsein stattgefunden hat. Es soll Leute geben, bei denen das nie passiert. Es ist eigentlich auch völlig egal.
Auf etwas anderes möchte ich noch hinweisen. Sie dürfen es aber nicht allzu ernst nehmen. Wir leben ja alle auf das «Jüngste Gericht» zu – sagt man. Falls das je stattfindet, was offenbar nicht ganz sicher ist, können wir auf jeden Fall sicher sein, dass wir alle nicht mehr die Jüngsten sind.