Mit Freiwilligen gegen die Invasion

Roger Suter

Neophytenbekämpfung ist in Opfikon nichts Neues. In Zukunft aber tut man es konzentriert und koordiniert – sowie mit der Hilfe von Freiwilligen: Sie sollen mangels rechtlicher Handhabe Überzeugungsarbeit leisten.

Hübsch sind sie anzusehen: die Viel­blättrige Lupine, die Nordamerikanische Goldrute, der Sommerflieder, der Essig- oder der Götterbaum. Andere sind praktisch, wie der Kirschlorbeer mit seinen dunkelgrünen, ledrigen Blättern, welche er das ganze Jahr trägt und mit denen er vor neugierigen Blicken von der Strasse schützt. Wieder andere sind so unscheinbar, als wüchsen sie seit jeher am Feld- oder Strassenrand. Manche ähneln auch heimischen Pflanzen, wie das Einjährige Berufkraut, dessen weisse Blüten mit gelber Narbe in der Mitte an unsere Wiesen-Margerite oder die Gänseblümchen erinnert.

Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie nicht hierher gehören. Sie wurden aus Nordamerika, Südafrika oder Asien hierhergebracht – in den meisten Fällen in voller Absicht, um unsere Gärten zu zieren. Von dort breiten sie sich in die Natur aus – oft ungehindert, weil sie schnell wachsen und hier keine Fressfeinde haben, die sie in Schach halten. Manchmal mit gutem Grund: Das Gift des Schmalblättrigen Greiskrauts etwa reichert sich in der Leber von Kühen und anderen Weidetieren an, was unbemerkt zu deren Tod führen kann. Besonders perfid: Auf der Weide meiden die Tiere das Kraut zwar, doch gemäht und im Heu können sie es nicht mehr von bekömmlicher Kost unterscheiden.

Ironie des Schicksals: Das Schmalblättrige Greiskraut wurde einst versehentlich mit der Wolle von Schafen – ebenfalls Weidetiere – aus Südafrika eingeschleppt. «Diese Pflanzen haben durch die Globalisierung – also durch den Menschen – geografische Barrieren wie Meere und Berge einfach übersprungen und Einzug in völlig andere Ökosysteme gehalten», hält Eva Bantelmann fest. «Es dauert Generationen, bis sich hier wieder ein Gleichgewicht der Arten einstellt», so die Bereichsleiterin Umwelt der Stadt Opfikon. Aktuelles Beispiel: Der Japankäfer, der letzten Sommer in Kloten entdeckt wurde und etwa 400 unserer Pflanzenarten auf seinem Speisezettel stehen hat.

Regenwurm-Probleme in Übersee

Das gilt aber auch in umgekehrter Richtung: Der europäische Regenwurm ist für unsere Böden sehr wichtig und nützlich. In Nordamerika und Kanada fressen eingeschleppte europäische Regenwürmer den Waldboden kahl und verändern das Ökosystem: Ohne die dicke, weiche Schicht von nur langsam verrottendem Laub verschwinden Blumen wie Wald­lilien, Veilchen und Orchideen, und den Keimlingen grosser Bäume fehlt der Schutz für die ersten Monate.

Australien und Neuseeland führen nach schlechten Erfahrungen mit eingeschleppten Pflanzen- und Tierarten deshalb ein hartes Regime, setzen die Spürnasen von Hunden ein und putzen am Flughafen auch mal Erde anderer Kontinente von den Wanderschuhen der Touristen. Teilweise ist es sogar innerhalb des Kontinents verboten, Früchte zu transportieren. «Wenn man keinerlei Arten einschleppen wollte, müsste man auch bei uns vor jeder Fahrt über Landesgrenzen die Autoreifen abspritzen», führt Eva Bantelmann aus. «Aber das will und wird auf Dauer keiner machen, und deshalb ist unsere Biodiversität bedroht.»

Konzentriert auf die Schlimmsten

Das Ziel des Neophytenkonzepts ist es, die Kräfte zu bündeln. Eva Bantelmann hat es zusammen mit einem externen Büro, den betroffenen städtischen Abteilungen sowie unter Einbezug des Forstes, der Landwirte, des Naturschutzvereins Mittleres Glattal und Auftragnehmern, die für Stadt oder Kanton invasive Neophyten auf Opfiker Stadtgebiet bekämpfen, erarbeitet. So steht es auch im kantonalen Massnahmenplan «Neobiota 2022–2025»: Er regt an, sich einerseits auf sogenannte Fokus-Arten zu konzentrieren, die sehr viel Schaden anrichten können und überall bekämpft werden sollten: Ambrosia, Riesen-Bärenklau und Schmalblättriges Greiskraut (Bekämpfung und Meldung sind im Kanton Zürich auch für Private Pflicht). Dabei kommt Letzteres sogar auf begrünten Dächern, etwa im Glattpark, vor. Ganz schlimm ist es, diese gelbe Blume einfach auszureissen und liegen zu lassen. Denn das Greiskraut bildet dann innert eines einzigen Tags Hunderte von Samen, wie Eva Bantelmann selber festgestellt hat, nachdem sie im Büro-Kehricht eine dieser Pflanzen am Nachmittag entsorgt hatte und am nächsten Morgen bereits Flugsamen vorfand. «Die Pflanzen gehören deshalb in den Kehricht.»

An Gewässern bekämpft man den Japanischen Staudenknöterich, der schon aus kleinen Wurzelresten neue Pflanzen hervorbringt, im Wald sind es Henrys Geissblatt und Götterbaum, auf dem Feld das Erdmandelgras (meldepflichtig) und auf Baufeldern und Brachflächen der Essigbaum.

«Wehret den Anfängen»

Andererseits unterscheidet der Plan Gebiete: In Naturschutzgebieten sollten gar keine Neophyten vorkommen. Ausserhalb richten sich die Massnahmen nach dem Befall: Wo schon viel Fremdes wächst, ist der Aufwand fürs Entfernen entsprechend gross. «Es reicht ja nicht, einmal hinzugehen und die Pflanze auszureissen», erläutert Eva Bantelmann. «Wenn etwa das Einjährige Berufkraut seine vielen Samen verstreut hat, können diese mehrere Jahre im Boden überdauern. Man muss also zwei- bis dreimal jährlich hingehen und alle Kräuter samt Wurzel ausreissen und entsorgen und dies über mehrere Jahre. Das braucht einen langen Atem.» Der Kanton schlägt deshalb vor, dass man sich auch beim Bekämpfen auf die weniger befallene Flächen konzentriert, was bei vertretbarem Aufwand mehr Erfolg verspricht. «Dazu haben wir die Lage in Opfikon analysiert», so die Biologin. «Wo kommen welche Arten vor und wie häufig?» Die Beobach­tungen werden zudem im geografischen Online-Informationssystem des Kantons (GIS) eingetragen.

Der grösste Befall findet sich entlang der Autobahnen. Denn die meist win­zigen Samen von Neophyten, wie dem an den Autobahnen stark verbreiteten Schmalblättrigen Greiskraut, werden in den Reifenrillen der Fahrzeuge und ihrem Luftzug immer weiter verteilt. Dort ist die Bekämpfung aber Sache von Bund und Kantonen.

Betrachtet man Opfikon, fällt der grosse Anteil an Siedlungsgebiet auf. Und während Landwirte und Forstangestellte von sich aus ihre eigenen Kulturen vor invasiven Arten schützen, zieren diese noch immer viele private Gärten – von wo sie sich wieder ausbreiten können. «Das ist nicht Absicht, doch viele Menschen kennen diese Pflanzen und ihre Gefahren vermutlich noch nicht», weiss Eva Bantelmann. Für die allermeisten problematischen Arten gibt es auch keine Pflicht, sie zu bekämpfen, und somit rechtlich keine Handhabe.

Gewusst, wie und was

Jede Bekämpfung bedingt aber ein gutes Auge, welches die Neophyten noch vor der Blüte – und damit der Bildung von Samen – erkennt. Das Opfiker Konzept sieht deshalb vor, dass auch externe Fachleute beauftragt werden, bekannte Stellen zu kontrollieren und zu säubern sowie neue aufzufinden.

Das Konzept sieht als zweiten Pfeiler vor, dass dieses Wissen nun breit vermittelt werden soll. Denn wie erwähnt gibt es bei den meisten invasiven Neophyten keine Bekämpfungspflicht und auch (noch) kein Verkaufsverbot. Deshalb setzt die Stadt auf spezielle Neophytenberaterinnen und -berater: Diese Freiwilligen mit entsprechendem Vorwissen (oder ­zumindest grossem Interesse, es zu erwerben) will Eva Bantelmann selber und mehrmals weiterbilden, damit sie das ­Erlernte in ihrem Quartier weitergeben. «Das Gespräch am Gartenzaun unter Nachbarn bringt meist mehr als ein Brief von mir an den Hausbesitzer», räumt Eva Bantelmann ein. Deshalb müssten diese Leute gut und gern kommunizieren. Ausdrücklich nicht gemeint sei, dass die Beraterinnen und Berater selber Neophyten bekämpfen; sie sollen vielmehr fürs Thema sensibilisieren.

18 500 Franken zusätzlich

Der dritte Pfeiler im Konzept betrifft das Bauen und die Begrünung. So werden auch Baugesuche aus Sicht des Naturschutzes geprüft: Sind auf dem Baugrund Essigbaum oder Asiatischer Stauden­knöterich vorhanden, muss ein Formular ausgefüllt werden, welches an den Kanton weitergeleitet wird. Das betroffene Erdreich gilt bei diesen beiden Pflanzenarten, welche sich bereits über kleine Wurzelteilchen weiterverbreiten, nämlich als Altlast. Aber auch für andere invasive Neophyten auf Baugrundstücken gilt die sogenannte Sorgfaltspflicht – die Bauherrschaft ist dafür verantwortlich, dass die invasiven Neophyten sich vom Baugrundstück aus nicht ausbreiten.

Zur Umsetzung dieses Konzepts hat der Stadtrat zu den bisherigen 32 000 Franken für die reine Neophytenbekämpfung noch 18 500 zusätzlich gesprochen, davon 12 500 für weitere Bekämpfungsmass­nahmen, die erwähnten Kontrollen von Freihalteflächen und die Erfolgskontrolle samt Einträgen im Geodaten-System GIS. In etwa vier Jahren will man dann analysieren, was geholfen hat und was nicht.

Dass man es kaum schaffen wird, sämtliche unerwünschte Pflanzen komplett auszurotten, ist Eva Bantelmann klar. «Das Ziel unserer Strategie ist es, die Schäden zu begrenzen, bis wieder ein Gleichgewicht herrscht.»

 

Was sind eigentlich Neophyten?

«Neophyt» leitet sich vom altgriechischen Wort «néos» für neu und «phytón» für Gewächs oder Pflanze ab. Als Neophyten werden hier alle Pflanzenarten bezeichnet, welche nach 1492 (der «Entdeckung» Amerikas durch Christoph Kolumbus) in Europa eingeführt wurden. Dazu gehören unter anderem Kartoffel, Mais und Tomate, die willentlich angepflanzt werden und heute ihren Teil zu unserer Ernährung beitragen.

Im Unterschied zu ihnen wachsen die invasiven Neophyten ungefragt und – mangels natürlicher Fressfeinde – auch unkontrolliert und bedrohen so die heimischen Arten. Es gibt sogar Pflanzen, die über die Wurzeln bestimmte Stoffe abgeben und so benachbarte Gewächse am Wachsen hindern.

Animationsfilm: youtube.com, Arten ohne Grenzen – Espèces sans frontières

Mehr über Neophyten erfahren: www.opfikon.ch/dienstleistungen/7774

Biodiversitäts-Spaziergänge

Für Interessierte bietet Eva Bantelmann zwei spezifische «Neophyten-Spaziergänge» an: Am Montagabend, 19. August, sowie am Samstagvormittag, 14. September.

19. Aug, 18.30 Uhr; 14. Sept., 9.30 Uhr; Oberhauserstr. 27; opfikon.ch/anlaesseaktuelles