Macht und Kraft

Friedjung Jüttner

Ich glaube, es ist Martin Buber, von dem ich folgende Unterscheidung der Begriffe Macht und Kraft habe. Kraft ist für ihn die Fähigkeit, etwas bewirken zu können. Und Macht ist die Fähigkeit, Kräfte einzusetzen. Beide stehen also in einem Verhältnis.

Macht ohne Kraft verläuft im Sande, ist hilflos, eigentlich ohnmächtig. Auf jeden Fall wirkungslos. Kraft ohne den regulierenden Einfluss der Macht endet schnell im Chaos. Das liesse sich an vielen Beispielen verdeutlichen. Ich wähle, wegen der laufenden Europameisterschaft, mal das Fussballspiel. Die Spieler verkörpern dabei die Kraft und der Trainer die Macht. Mit seinen Vorüberlegungen und seinem Eingreifen während des Spiels nimmt der Trainer Einfluss auf seine Mannschaft. Aber die elf Spieler führen, dank ihrer Kräfte, das Spiel aus. Anders gesagt: Die Spieler verfügen über die Kraft zu spielen, sie bewirken etwas, und der Trainer bestimmt, wie sie spielen. Beide brauchen sich.

Hier noch ein Beispiel für Nichtfussballer: Das Autofahren. Die Kraft zu beschleunigen und zu bremsen liegt eindeutig beim Auto. Der Mensch hinter dem Steuer muss aber seine Macht über diese Kräfte, also das Gaspedal und die Bremse, so ausüben, dass er sein Ziel erreicht und es nicht zu einem Unfall kommt.

Das Zusammenwirken von Kraft und Macht können wir also in den verschiedensten Bereichen unseres Lebens beobachten. Wir verfügen auch selber alle über mehr oder weniger Macht, mit unseren Kräften angemessen umzugehen. In der Regel arbeiten die beiden gut zusammen und wir führen ein normales Leben.

 

«Die Demokratie ist die Staatsform, die ihre Machthaber kontrollieren kann.»

Friedjung Jüttner Dr. phil., Psychotherapeut

 

Es gibt aber auch Menschen, die aufgrund ihres Berufes oder ihrer sozialen Stellung über besonders viel Macht verfügen. Beispielsweise Politiker. Und das kann gefährlich werden. Es gehört offenbar zum Menschen, dass er, wenn er Macht hat, ständig in Versuchung ist, sie zu missbrauchen. Die Geschichte kennt viele Beispiele.

Darum haben die Griechen die Demokratie erfunden. Sie wurde im 5. Jahrhundert v. Chr. in Athen eingeführt. Es ist die Staatsform, die ihre Machthaber kontrollieren kann.

Kein Wunder, dass gewisse Politiker die Demokratie ablehnen oder sie zu schwächen versuchen; denn sie beschränkt ihr Machtgehabe.

Da fallen mir heute besonders zwei Politiker ein. Herr Putin lässt sich zwar wählen, um sich einen demokratischen Anstrich zu geben, aber eigentlich geht es ihm um seinen Machterhalt. Wie er dabei vorgeht, muss ich hier nicht in Erinnerung rufen. Nochmals anders ist es beim Chinesen Xi Jinping. Der hält die Demokratie für eine falsche Staatsform. Wenn das Wohl des Staates und somit seiner Führungselite wichtiger ist als Wohl des Volkes oder des Einzelnen, dann verschieben sich die Werte entsprechend. Somit gehört alle Macht dem Staatsführer, das Volk, der Einzelne, muss sich ihm unterordnen. Wer das nicht tut, wird unschädlich gemacht. Wenn westliche Politiker bei Besuchen ihm etwas von unseren Menschenrechten erzählen, dann lächelt er höchstens und schüttelt den Kopf.

Ich habe keine Angst, dass unsere demokratischen Errungenschaften untergehen, aber bedroht sind sie. Vermutlich immer. Weil Macht zu Missbrauch verführt.