Kein «Inklusions-Check» in Opfikon
Der Gemeinderat hat es knapp abgelehnt, Opfikon einem «Inklusions-Check» zu unterziehen. Die Mehrheit fand, die bestehende Steuergruppe genüge und solle ihre Arbeit für Menschen mit Beeinträchtigung weiter machen.
«Als ich dieses Postulat eingereicht habe, war ich sicher, dass das eine gute Sache sei und von allen unterstützt würde», sagte SP-Gemeinderat Yuri Fierz am Montagabend vor seinen Gemeinderatskolleginnen und -kollegen. Dem war aber nicht so: Sein Postulat «Inklusions-Check Opfikon» stiess auf Widerstand, sowohl von Seiten Stadtrat als auch von den Bürgerlichen im Parlament.
Sein Vorstoss, unterschrieben von SP und Grünen sowie je einem EVP- und GLP-Ratsmitglied, hatte zum Ziel, dass Opfikon mit dem «Inklusions-Check» (siehe Box) eine Standortbestimmung vornimmt. «Jede fünfte Person in der Schweiz ist in irgendeiner Form von Behinderungen betroffen» so Fierz.
Der Stadtrat aber wollte das Postulat nicht entgegennehmen. «Verschiedene Institutionen haben bereits Analysen durchgeführt», sagte Stadtpräsident Roman Schmid (SVP) im Rat. «Nun steht die Umsetzung im Fokus. Die Stadt Opfikon will konkrete Massnahmen voranbringen.» Deshalb habe der Stadtrat die Steuergruppe Behindertenrechtskonvention eingesetzt, um die vorhandenen Analysen für Opfikon auszuwerten und entsprechende Massnahmen zu planen. Erster Handlungsbedarf zeige sich beispielsweise bei der Sicherstellung des gleichberechtigten Zugangs zur Kultur. Schmid erzählte ausserdem von einem nahezu blinden Mann, der sich am letzten Neuzuzügeranlass an ihn gewandt habe. «Und er hat mir erzählt, wenn er ins Stadthaus kommt, wird ihm am Empfang geholfen.»
Dienste nicht beansprucht
Als weiteres Beispiel nannte Schmid die Opfiker ÖV-Haltestellen, die mit vier Ausnahmen behindertengerecht seien. «Eine wird es aber nie sein – es sei denn, wir verschieben den Dorfbrunnen und die Viehwaage», führte Schmid aus. Stattdessen habe die Stadt ein Ruftaxi eingerichtet, das Betroffene vom Dorf zum Bahnhof chauffiert. «Es ist aber im vergangenen Jahr kein einziges Mal in Anspruch genommen worden.» Und mit Blick auf den nicht behindertentauglichen Zugang zum Ratsaal im ersten Stock des Schulhauses Lättenwiesen versprach er, dies werde mit der Sanierung der Schulanlage Lättenwiesen behoben.
«Diese Antwort ist wie ein Lehrbeispiel aus einem Führungskurs im Kapitel ‹Umgang mit unangenehmen Anfragen›.»
An der Walliseller Gemeindeversammlung habe man auf Drängen eines Vereins vor Jahren eine Simultanübersetzung für gehörlose Menschen eingeführt. Da aber an der ersten Versammlung weder der Verein noch Betroffene zugegen gewesen seien, werde die Übersetzung nur noch auf Anfrage angeboten.
In der im November 2023 beschlossenen Steuergruppe Behindertenrechte seien alle Verwaltungsabteilungen vertreten, verwaltungsintern Erfahrung und individuelle Expertise auf verschiedenen Ebenen vorhanden. Schmid plädierte dafür, die Steuergruppe, die im zweiten Quartal 2025 wieder tage, arbeiten zu lassen, um die Ressourcen in weitere, praxistaugliche Massnahmen fliessen zu lassen.
Antworten sind «zu vage»
«Diese Antwort ist wie ein Lehrbeispiel aus einem Führungskurs im Kapitel ‹Umgang mit Unangenehmen Anfragen›», fand darauf Yuri Fierz. «Zuerst Anteilnahme und Bereitschaft signalisieren. Danach die Anfrage paraphrasieren, bereits bestehende Massnahmen vage wiedergeben und am Schluss in der Conclusio dann trotzdem nichts ändern wollen.»
Der Verweis des Stadtrats auf die Uno-Behindertenrechtskonvention, die Behindertenpolitik des Bundes oder den kantonalen Aktionsplan des Kantons seien Lippenbekenntnisse. Die angeführten «wertvollen Analysen», welche «handfestes Verbesserungspotenzial und blinde Flecken» aufzeigten, sowie die vorliegende «Zustandsanalyse einer vergleichbaren Stadt» seien zu vage.
Knappe personelle Ressourcen dürften auch keine Ausrede sein, um schwierige Unterfangen abzuschmettern, sondern sollten motivieren die vorhandenen Energien auf das Wesentliche zu konzentrieren, gut zu planen und bei fehlenden Expertisen Fachleute und auch Betroffene zuzuziehen, wie es bei diesem Inklusions-Check der Fall wäre. «Eine Expertise von Betroffenen ist besser, als wenn ihr mit einer «Kommission» eure eigene Suppe kocht, die Schlussendlich halb so gut und doppelt so teuer wird.»
Er selbst habe mit echten Betroffenen gesprochen. Diese seien dankbar für alles, was bereits gemacht werde. «Und das ist meiner Meinung nach sehr wenig.» Eine Person etwa müsse sich täglich mehrmals steril einen Katheter in die Blase legen. Aber in den Behindertentoiletten fehle eine kleine Ablagefläche dafür. Kostenpunkt für die Stadt? Einige hundert Franken. Die Erleichterung für diese Person? Unbezahlbar.
Auch die Kosten für den Check von maximal 13 000 Franken, welche der Kanton voraussichtlich mit Subventionen auf 4000 Franken senken könnte, seien dagegen sehr überschaubar.
Das Postulat impliziere keine schlechte Vorarbeit der Gemeinde Opfikon. «Vielleicht könnten wir uns auf die Schultern klopfen und darauf anstossen», sagte Fierz, der die Getränke spendieren würde. «Oder es gäbe einige Punkte, welche wir verbessern könnten und uns darüber freuen, das Leben für diese Menschen einfacher zu gestalten und Ihnen den Zugang zur Gesellschaft zu vereinfachen. So oder so. Dieser Inklusions-Check wäre ein Gewinn für die Inklusion in Opfikon.»
«Populistisch, nicht zielführend»
Urban Husi (SVP) vermisste den Nutzen des Postulats, das Probleme suche, statt sie anzugehen, und obendrein «populistisch und nicht zielführend» sei. Die Herausforderungen in Opfikon seien weitgehend dieselben wie in vergleichbaren Städten, die den Inklusions-Check durchgeführt hätten. «Eine hindernisfreie Stadt entsteht nicht durch langwierige Analysen, sondern durch konkrete Taten im Alltag. Statt Zeit in aufwendige Inklusions-Checks zu investieren, sollten wir direkt anpacken und pragmatische Lösungen umsetzen.» Inklusion passiere nicht auf dem Papier, sondern im gelebten Miteinander. «Lassen wir uns nicht von Bürokratie aufhalten, sondern schaffen wir gemeinsam eine Stadt, die wirklich für alle da ist!»
«Eine hindernisfreie Stadt entsteht nicht durch langwierige Analysen, sondern durch konkrete Taten im Alltag.»
Helen Oertli (Grüne Opfikon) sprach als Betroffene, die seit einem Unfall keine langen Strecken mehr gehen oder längere Zeit stehen kann: «Die getroffenen und erwähnten Massnahmen allein genügen nicht. Es ist in unseren Köpfen nicht drin, deshalb muss man entsprechende Strukturen schaffen.
Trotz der engagierten Voten lehnte der Gemeinderat es ab, das Postulat an den Stadtrat zu überweisen, mit 16 Ja gegen 14 Nein bei einer Enthaltung.
Unumstrittene Ersatzwahlen
Keine Diskussionen gab es zu den übrigen Geschäften, welche der Rat an dieser ersten Sitzung des neuen Jahres behandelte: Neu in die Geschäftsleitung gewählt (siehe Kasten) wurden Luc Sierro (NIO@GLP) und Urban Husi (SVP).
Als Ersatz in die Rechnungsprüfungskommission wählte das Parlament einstimmig Lukas Müller.
Neu im Wahlbüro sitzen für den Rest der Amtsdauer 2022 bis 2026 Daniel Destraz (NIO@GLP) und Polina Pavic Olenina (SP).
Und falls Ratssekretärin Sara Schöni mal verhindert sein sollte, nimmt Daniel Demin ihren Platz ein. Er leitet die Abteilung Präsidiales. Die Geschäftsleitung des Gemeinderats habe die weiteren Optionen (etwa eine Ausschreibung der Stelle) geprüft, Rücksprache mit den Fraktionen genommen und ist zum Schluss gekommen, dass dies die optimale Lösung sei.
Kommen und Gehen im Gemeinderat
Der Gemeinderat begrüsste am Montagabend zwei neue Mitglieder und verabschiedete zwei alte. Nach nicht ganz drei Jahren ausgetreten sind Silvia Messerschmidt (SVP, wurde im Dezember 2024 wieder in die Schulpflege gewählt) und Evelyne Sydler (NIO@GLP, zieht nach Zumikon). «Ich hoffe, sie brauchen dort auch jemanden in der RPK», sagte Sydler, da sie diese Aufgabe sehr vermissen werde. Weiterführen wird sie die Arbeit in der kantonalen GLP sowie das (unpolitische) Präsidium der Genossenschaft Dorf-Träff; ihre Mutter lebt nach wie vor hier und sie werde deshalb weiterhin einen Fuss in Opfikon haben.
Auch Silvia Messerschmidt bedankte sich bei der Verabschiedung durch Ratspräsident Jeremi Graf (SP) für die interessanten und konstruktiven Diskussionen im Rat, die sie nach einem «Raketenstart» als dessen Präsidentin (2023/2024, nur ein Jahr nach ihrer Wahl) auch leiten durfte.
Neu beziehungsweise wieder im Rat sitzen Luc Sierro (NIO@GLP) und Urban Husi (SVP). Der 29-jährige Geograf Sierro belegte bei den Wahlen 2022 den 7. Platz. Der 43-jährige Husi, seit 2018 im Rat, wurde damals knapp nicht wiedergewählt.
Was ist der Inklusions-Check?
Mit dem Inklusions-Check können Gemeinden unter Mithilfe von Fachleuten prüfen, wie barrierefrei sie sind. Gleichzeitig treffen sich Menschen mit und ohne Behinderungen an einem Runden Tisch, tauschen ihre Erfahrungen aus und bringen ihre Ideen ein.
Der Inklusions-Check für Gemeinden wurde durch den Verein Tatkraft und den Kanton Zürich entwickelt. Seit 2024 führt Sensability das Angebot im Auftrag des Kantons weiter.
«Diese Antwort ist wie ein Lehrbeispiel aus einem Führungskurs im Kapitel ‹Umgang mit unangenehmen Anfragen›.»
«Eine hindernisfreie Stadt entsteht nicht durch langwierige Analysen, sondern durch konkrete Taten im Alltag.»