«Ich will ihre Spielfreude wecken»

Roger Suter

Dingulari, die Opfiker Theaterwerkstatt, probt ein neues Stück, das am 13. März Premiere feiert. Regisseur Peter Locher inszeniert die Geschichte um die Wohngruppe einer psychiatrischen Klinik, die auf «normal» getrimmt wird, zum zweiten Mal – aber anders.

Mit dem «ARA Camp 8152» meldete sich die traditionelle Opfiker Theaterszene 2018 zurück: Sie führte anlässlich des Stadtjubiläums in der früheren Kläranlage Glatt eine rasante Persiflage auf die grassierenden Casting-Shows auf, geschrieben von der Opfikerin Judy Ca­hannes Begni auf.

Mitte März 2025 folgt nun die Komödie «Nöd ganz 100». Das Stück spielt in der offenen Wohngruppe einer Psychiatrie. ­Eines Tages kündigt sich die Mutter einer Bewohnerin, die nicht freiwillig hier lebt, zu Besuch an – und nichts von den Lebensumständen ihrer Tochter wissen darf. Und deshalb müssen die Mitbewohner wenigstens für eine gewisse Zeit «normale» Menschen spielen. Situationskomik, Verwechslungen und ein grosser Showdown sind in diesem Stück gut angelegt.

 

«Mein Job als Regisseur ist es, Vorschläge zu machen.»

Peter Locher, Regisseur

 

«Wir gehen die Szenen 1 bis 5 am Stück durch», so Regisseur Peter Locher zu den acht Laienschauspielerinnen und -schauspielern, welche an diesem Probenabend involviert sind. «Und achtet darauf, wie oft ihr über die Markierung am Boden lauft; vielleicht müssen wir dann das Podest noch anpassen.» Besagtes Podest existiert noch nicht; die Bühne ist bis auf ein paar rote Stühle, zwei Tischchen, eine Vase und Blumenstrauss sowie eine Staffelei leer. Viel mehr kommt auch nicht mehr dazu, denn während der Probenzeit müssen die Theaterleute ihre Einrichtungen immer wieder wegräumen, da der Raum im Schulhaus Mettlen in erster Linie als Singsaal dient. «Das ist auch ein Grund für das stilisierte Bühnenbild», erläutert Judy Cahannes Begni, welche mithalf, die Opfiker Theaterwerkstatt wieder auf die Bühne zu bringen.

Dennoch ist die kleine Mettlen-Bühne seit Jahrzehnten bekannt für Kleinkunst und Theater in Opfikon. «Sie war auch der Ursprung für unser Theater Dingulari», so Judy Cahannes Begni.

Zuerst ist viel Planung

Mit den Proben für das aktuelle Stück hat man am 11. November begonnen. Bis zur Weihnachtspause wurde das Stück einmal durchgespielt. Wichtig sei dabei ein genauer Probenplan, damit alle wissen, wann sie mit welchem Text an der Reihe sind, erläutert Regisseur Peter Locher. Im neuen Jahr folgen dann «Päckliproben», bei denen man mehrere aufeinanderfolgende Szenen übt, und Intensivtage, um nochmals ins Detail zu gehen. Am Schluss folgen die Durchläufe, wo man das Stück ganz durchspielt und auch die Technik, Licht, Ton und Bühnenbild eingebunden sind.

Zuvor hat sich das Kreativteam der Theatergruppe in verschiedene Stücke eingelesen, und Judy Cahannes Begni und Susanne Hottinger aus dem Kreativteam haben sich im Frühling 2024 die Inszenierung von Peter Locher im aargauischen Widen angesehen und waren davon sehr angetan.

Wer bin ich, wer bist du?

Zwei der Kriterien lauteten: Komödie, aber nicht nur Slapstick, sondern auch etwas Tiefgang. «Das Stück spielt mit der Frage: Was ist normal?», erklärt Regisseur Peter Locher diese zweite Ebene. «Das, die Figuren und der liebevolle Touch haben für uns den Reiz ausgemacht.»

Die Rollenverteilung nahm der erfahrene Peter Locher in drei Stufen vor: Nach dem gegenseitigen Kennenlernen an den Workshops und dem Vorstellen des Stückes und der Figuren konnten sich alle Schauspielerinnen und Schauspieler für ihre drei Lieblingsrollen eintragen. In einer zweiten Phase mussten sie ihren Bühnenkolleginnen und Kollegen Rollen zuweisen. Dann wurden Szenen-Ausschnitte improvisiert, um ein Gefühl für die möglichen Rollen zu bekommen. Dann setzte der Regisseur seine Präferenzen, die auch Alter und Erscheinung einer Person umfassen. «Das passt dann meistens ganz gut zusammen», hat Peter Locher die Erfahrung gemacht.

Ein Theater – zwei Versionen

Als professioneller Regisseur inszeniert Peter Locher das Stück nun innerhalb eines Jahres mit zwei völlig unterschiedlichen Theatertruppen. «Die Herausforderung ist sicher, das Vorangegangene möglichst rasch beiseite zu schieben», was auch Locher nicht immer sofort gelingt. «Dabei hat mir aber geholfen, dass dieser Cast extrem anders ist als der letzte.»

Sein Job als Regisseur sei es, Vorschläge zu machen. «Die Kunst und für mich der Reiz ist es dann, meine Vorstellung mit den Laienschauspielerinnen und -schauspielern abzugleichen, die Spielfreude zu wecken und die Energie zu hochzuhalten.» Denn die Teilnehmenden sollen das Stück bis zum Schluss als das ihre betrachten und nicht «als Klone Lochers» agieren, wie er es ausdrückt. «Ansonsten merken das die Zuschauer sofort.»

Mehr Spass mit Profi

Judy Cahannes Begni und Peter Locher kennen sich seit über 20 Jahren vom Musicalverein Mutschellen. Dieser war es, welcher 1994 in Berikon AG das Musical «Spacedream» uraufgeführt hatte, bevor es, abgekoppelt vom Verein, jahrelang in Baden und Winterthur gespielt wurde. In der vierten Produktion, «Sister Act», welche Peter Locher inszenierte, spielte Judy Cahannes Begni 2004 die Hauptrolle. «Wir sind alles Laien, aber die Leitung sollte schon bei einem Profi liegen», begründet Judy Cahannes Begni das Engagement eines Berufsregisseurs.

Ganz wichtig für einen Theaterverein wie «Dingulari» sind deshalb auch die Sponsoren, welche den Verein – neben der städtischen Kulturkommission – finanziell unterstützen. Ohne sie könnte man sich keinen Profi-Regisseur leisten. «Mit den Tickets allein würde es nicht reichen», schätzt Judy Cahannes Begni. Und trotz eines kleinen Polsters aus früheren Jahren drehe man jeden Franken zweimal um, verzichte der Vorstand auch auf eine Entschädigung. «Unser Herzensanliegen ist es, dass die Opfikerinnen und Opfiker Theater spielen können», so Judy Cahannes Begni. Deshalb sei man auch froh um einen Regisseur, der sich die Arbeit mit Laien gewohnt ist und auf eine angenehme Art das Beste aus ihnen herauskitzelt. Dass dabei die schauspielerischen Niveaus unterschiedlich sind, liegt in der Natur der Sache. Er versuche dann jeweils, die Personen zu erspüren, «zu knacken», wie es Peter Locher formuliert: Laufen lassen, wo es geht, und Hilfestellung zu geben, wo es nötig ist. «Ich spiele auch mal eine Szene vor, damit sich die Spieler meine Ideen besser vorstellen können.» Dabei hilft ihm Menschenkenntnis – und seine Liebe zu den Menschen.

«Es gibt so viele Faustregeln auf der Bühne», führt Peter Locher aus, «etwa die, nie mit dem Rücken zum Publikum zu sprechen. Entweder man spürt das schon, oder man muss es sich antrainieren.» Es dürfe in einer Laienproduktion aber auch Unterschiede geben. «Wichtig für mich ist bei jedem Einzelnen, das Erreichte zu ehren.»

Die (Un-)Freiheiten des Regisseurs

Auch an diesem Probenabend lernen die Teilnehmenden viel über die Schauspielerei, die Arbeit auf der Bühne, ihren Bühnencharakter und über sich selbst. Sie lernen, wer wann wo stehen und wann was sagen muss, damit aus den Texten echte Dialoge werden, wie sie im Alltag der Menschen stattfinden können.

Sind denn Änderungen an einem Stück erlaubt, um es auf die Schauspielcrew anzupassen? «Da gibt es von der Autorenschaft und den Verlagen klare Auflagen», erklärt Peter Locher. Etwa, dass das Stück von der Anlage her nicht verändert werden darf – also etwa die Wohngruppe der Psychiatrie in eine Studenten-WG umzuwandeln. Auch müssen wichtige Textpassagen oder Rollen bestehen bleiben. Texte dürfen hingegen so angepasst werden, «dass sie ins Maul passen»: «Das anfängliche Aargauer ‹Joo!›  von Peter geht natürlich in Zürich gar nicht», lacht Judy Cahannes Begni.

Erlaubt ist aber, kleine Zusatzrollen einzubauen, etwa einen Postboten, der im dümmsten Moment eine Unterschrift haben will – als eine Art Dekoration, die es nicht zwingend braucht. Und grundsätzlich kann man bei der Autorin oder beim Autor nachfragen, ob eine grössere Änderung erlaubt ist, etwa beim Wechsel von einer männlichen auf eine weibliche Person und umgekehrt.

Ist der Entwicklungsprozess eines Stückes denn mit der Premiere abgeschlossen? «Mein Ziel ist es, an der Premiere parat zu sein», betont Peter Locher. «Dann gibt es eine gewisse Inszenierungstreue: So, wie wirs abgemacht und geprobt haben, so bleibt es.» Auf der anderen Seite entwickle ein Stück vor Publikum eine Eigendynamik, eine Art Dialog. Es gebe etwa Verzögerungen wegen Lachern, manche drehten auf der Bühne noch etwas auf, andere bremsten sich etwas, sprächen leiser. «Entsprechend gebe ich auch Feedbacks, um die Qualität hochzuhalten.» Nur selten müsse er bremsen, wenn etwa ein Gag, nur um des Gags willen, ein zweites Mal komme.

Schon jedes siebte Ticket weg

In den kommenden Wochen wird auf der Mettlen-Bühne fleissig weitergeprobt, um wie verlangt an der Premiere am 13.  März «parat zu sein». Wichtig sei nun vor allem, dass alle gesund blieben und niemand länger ausfalle, sagt Peter Locher. Andernfalls sei er als Regisseur auch schon mal eingesprungen. «Eine Zweitbesetzung wäre für ein Laientheater ein riesiger Aufwand – und undankbar», findet er.

Auch so leisten die Hobby-Schauspielerinnen und Schauspieler im halben Jahr vor den Aufführungen einen grossen Effort. Und das Publikum scheint diesen zu goutieren: Das Ensemble hat schon zwei Monate vor der Premiere etwa 15 Prozent der Tickets verkauft.

Theaterwerkstatt Dingulari – Fortsetzung einer Tradition

Als Ort des Theaters existiert die Mettlen-Bühne seit den 1960er-Jahren. Gegründet von Max Huwyler, hauptberuflich Lehrer im Schulhaus Mettlen, entstanden unter seinem Nachfolger Hubert Mäder zwischen 1993 und 2000 vier eigene Theaterproduktionen, geschrieben und umgeschrieben von Hans Rudolf ­Lehmann (1921–2017), der Stadtschreiber war, als Opfikon 1968 zur Stadt wurde. Nach dem Tod von Regisseur Werner Gröner entschlief auch die Mettlen-Bühne, bis sie Brigitte Bischoff Bleiker (übrigens die Ehefrau des damaligen Stadtschreiber-Stellvertreters Willi Bleiker) 2014 mit «Restaurant Terminus» wieder zum Leben erweckte.  Am 28.  August 2017 gründete dann «Dingulari» offiziell einen Verein, um anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums der Stadt Opfikon die Open-Air-Produktion ARA Camp 8152 uraufzuführen. «Nöd ganz 100» ist nach der Corona-Pause das dritte Stück des Vereins.

«Dingulari» ist übrigens ein altes zürichdeutsches Wort, das man am ehesten mit «Dingsbums» übersetzen könnte.

 

Opfiker Theaterproduktionen:

1993 «geSTADTezi»

1995 «clean by Tell»

1997 «Besuch der alten Dame»

2000 «Söihäfeli – Söiteckeli»

2014 «Restaurant Terminus»

2018 «Ara Camp 8152»

2024 «Nöd ganz 100»

 

13.–16. und 20.–22. März, Mettlen-Bühne, Dorfstr. 4. https://dingulari.ch