Föhn
Mit einem Föhn trocknen wir uns manchmal die Haare. Aber von dem ist hier nicht die Rede. Ich schreibe über den Föhn, der dem Haartrockner den Namen gegeben hat, also vom Wetterföhn.
In Deutschland gibt es Gegenden, wo der Föhnwind und seine Auswirkungen völlig unbekannt sind. Aber eine Dame aus München wusste zu diesem Thema viel zu erzählen. Ich musste mir ihr Gespräch, das sie mit drei Kolleginnen führte, deshalb anhören, weil ich in einem Schwarzwälder Restaurant am Nachbartisch sass.
Die Münchnerin, sie erwähnte mehrmals, dass sie in München Föhn hätten, erklärte ihren Zuhörerinnen ausführlich, was das ist. Dabei legte sie kein Gewicht auf die Erklärung des meteorologischen Phänomens, sondern nur auf das, was dieser Föhn mit ihr macht. Und das war schlimm. Schweissausbrüche stufte sie noch als harmlos ein. Aber oft waren es Schlafstörungen und Nervosität, die dann zu Kreislaufstörungen und vor allem zu einer fast unerträglichen Migräne führten. Das mitfühlende Entsetzen bei den drei Zuhörerinnen war deutlich auf deren Gesichtern abzulesen. Sie waren sicherlich froh, nicht in München, sondern im Norden von Deutschland zu Hause zu sein.
«Was mich faszinierte, war nicht ihre Leidensgeschichte, sondern die Art, wie sie diese auskostete.»
Was mich an dieser Münchnerin faszinierte, war nicht ihre Leidensgeschichte, sondern die Art, wie sie diese auskostete. Sie wirkte auf mich, als wäre sie stolz darauf, die eben aufgezählten Symptome erleiden und vor allem, davon erzählen zu dürfen. Mit ihrer Schilderung forderte sie nicht nur die Hochachtung ihrer Zuhörerinnen, sie hatte sie offensichtlich auch vor sich selber. Wer so was mitmachen muss, ist nicht zu beneiden. Aber wer so was durchsteht, ist zu bewundern. Eine Märtyrerin, die immer wieder dem Tode nur knapp von der Schippe springt. Ich wusste nicht, ob ich ihr Selbstgefälligkeit oder einfach nur Zufriedenheit zugestehen sollte.
Ich habe mich auch gefragt: Wie ginge es dieser Dame, wenn die in München keinen Föhn hätten? Auf jeden Fall schlechter. Ein schönes Beispiel für das, was die Psychologen Krankheitsgewinn nennen.