Der Jungbrunnen unter der Kirche

Roger Suter

Was passiert, wenn 200 Mittsechziger eine Disco wie in ihrer Jugend besuchen, wo die Original-DJs ihre Hits von Vinylplatten abspielen? Sie tanzen dazu, wie wenn es die 50 Jahre dazwischen nie gegeben hätte.

Das hätten die sieben Teenager in den 1970ern nicht gedacht: dass sie auch mit 50 oder über 60Jahren noch einmal eine Party organisieren würden, von der die halbe Stadt spricht. Doch genau das geschah am 19. Oktober im Raum unter der katholischen Kirche St. Anna: Genau wie damals wurde in der Golden Eagle Disco getanzt, geschwitzt und ausgiebig gefeiert.

Gehofft hatten die Organisatorin und die Organisatoren auf gut 70 Eintritte (à 15 Franken), um das Revival ihrer Party zu finanzieren. Gekommen sind rund dreimal so viele Gäste. «Es ist toll», sagt Mike Frei am Samstagabend angesichts der vielen Menschen zwischen 50 und 70, die sich vor dem Seiteneingang der Kirche St. Anna versammelten und das Wiedersehen feierten. «Ich bin stolz, Teil von so etwas zu sein.» Nach keinen zwei Stunden Grillbetrieb musste er das erste Mal Fleisch nachbestellen, um halb zehn konnte er noch eine letzte Kiste Prosecco besorgen.

Und er beobachtete noch etwas: «Manch einer, der beim ersten Mal so unsicher die Treppe runterging, dass ich ihm Hilfe anbieten wollte, kam später beschwingt und leichtfüssig wieder nach oben.» Offenbar wirkte das Treiben unter der katholischen Kirche wie ein Jungbrunnen.

Wieder Vinyl und tropfende Decke

Initiant Ronnie Derichsweiler denkt wie viele andere gleichaltrige Opfiker gern an diese unvergessliche und glückliche Zeit zurück. So kam er auf die Idee zum Revival, am Originalschauplatz, wo wegen der vielen Tänzerinnen und Tänzer jeweils das Kondenswasser von der Decke tropfte.

Das ist auch an jenem Samstag nicht anders: Ans Fotografieren ist in der ersten halben Stunde nicht zu denken, derart beschlagen sich sämtliche Linsen der Kamera in der von Tanzenden aufgeheizten schwülwarmen Luft. Dafür bietet die Bar im Nebenraum willkommene kühle Getränke, aber auch Kuchen.

Der OK-Präsident legt Wert darauf, dass die vier DJs wie damals nur Vinyl-Singles und -LPs auflegen. Dafür hat jeder eine Kiste davon mitgebracht, säuberlich sortiert und beschriftet. Ronnie Derichsweiler als Inhaber der Firma Acustronics stattet alle möglichen Events mit Licht- und Tonanlagen aus und verfügt noch über zwei Profi-Plattenspieler aus dieser Zeit. «Sie laufen innert Sekunden auf der richtigen Geschwindigkeit», erläutert DJ Reto Baer, während er mit dem Kopfhörer und der Plattenspielernadel den Beginn des nächsten Songs lokalisiert.

Ebenfalls gut funktioniert hat es mit der Nachbarschaft, die vorab über die Party informiert wurde. «Heute musste ich niemanden draussen ermahnen, leiser zu sein», resümiert Mike Frei.

Die analoge Lichttechnik funktioniert nach wie vor. Das einzig Digitale an der Golden Eagle Disco des Jahres 2024 waren Handys, um die Freude am Revival zu teilen. Bild Roger Suter

Die Eintrittskarte wurde wie damals mit jedem Getränk entwertet. Bild Roger Suter

Reto Baer, damals DJ und später Kulturjournalist, hantiert nach wie vor gekonnt an den beiden Plattentellern. Bild Roger Suter

Der Stempel am Handgelenk gewährte Zugang. Bild Roger Suter

Die Organisatoren von damals (von links): Pfarrer Arnold Huber, Beat Gattlen, Pascal Sahli, Doris Gallati, Mike Frei, Reto Baer, Daniel Greiner und Ueli Giger im Mai 1978. Bild zvg

Fast dasselbe Team für die Neuauflage (von links): Beat Gattlen, Pascal Sahli, Doris Gallati, Mike Frei, Daniel Greiner, Reto Baer und OK-Präsident Ronnie Derichsweiler im Oktober 2024. Bild zvg