Der gute Rat: «Müssen wir wirklich jeden Sonntag bei deinen Eltern zu Mittag essen?»
Viele Paare pflegen einen freundschaftlichen Kontakt zu den Schwiegereltern. Diese bieten Unterstützung aller Art, sei es tatkräftig beim Umzug und bei der Kinderbetreuung oder auf emotionaler Ebene. Für manche Paare ist der Umgang mit den Schwiegereltern jedoch eine Herausforderung – ein Balanceakt zwischen Erwartungen, familiären Dynamiken und dem Wunsch nach Harmonie.
Die Sorge, ob man selbst den Vorstellungen der Eltern des Partners oder der Partnerin entspricht oder ob sich die Kinder gut benehmen, begleitet viele solche Treffen. Da kann das sonntägliche Mittagessen zum Stress werden, und am Sonntagabend ist die Stimmung am Tiefpunkt.
Dieser Artikel möchte keine Klischees bedienen, sondern einen Blick auf mögliche Stolpersteine werfen und Wege aufzeigen, wie man sie aus dem Weg räumen könnte. Die Beziehung zu den Schwiegereltern ist eine oft unterschätzte, aber zentrale Entwicklungsaufgabe im Leben vieler Menschen. In der Paarberatung wird die Beziehung zur Schwiegermutter häufiger thematisiert als die Beziehung zum Schwiegervater. Dies könnte daran liegen, dass bei den älteren Generationen hauptsächlich die Mütter die Kinder betreuten. Wenn die Väter vermehrt Betreuungsarbeit übernehmen, werden die Schwiegerväter vermutlich häufiger ein Thema in der Paarberatung.
Bereits beim ersten Treffen mit den Eltern der Partnerin und des Partners fragt man sich: Was denken sie von mir? Bin ich in ihren Augen passend für ihren Sohn, ihre Tochter? Auch die Eltern sind gespannt aufs erste Treffen: Wen hat sich unsere Tochter, unser Sohn ausgewählt? Bevor Kinder da sind, haben Paare oft nicht so viel Kontakt zu den Eltern, oder man geht allein zu den Eltern, während der Partner oder die Partnerin etwas anderes macht. Wenn Kinder da sind, werden die eigenen Eltern und die Schwiegereltern zu Grosseltern, es sind dann drei Generationen da: Grosseltern, Eltern und Enkelkinder. Das bedeutet, die Rollenverteilung zwischen den Generationen muss neu geregelt werden. Manchmal entstehen Reibungspunkte. Wie oft wollen die Grosseltern das Kind sehen? Mischen sie sich ein bei der Erziehung? Geben sie ungefragt Tipps? Grosseltern sehen sich als erfahrene Ratgeber, während die Eltern ihre eigenen Wege gehen wollen. Besonders Schwiegermütter fühlen sich manchmal übergangen oder nicht ausreichend gewürdigt. Wenn die Grenzen zwischen den Generationen nicht klar gezogen sind, kann dies die Paarbeziehung erheblich belasten. Oft wird der Ärger dem Frieden zuliebe runtergeschluckt, oder man schimpft im Gespräch mit dem Partner oder der Partnerin über die Schwiegermutter. Dies löst dann beim Partner oder bei der Partnerin eine Flut von Rechtfertigung aus. Man fühlt sich angegriffen bei negativen Äusserungen über die eigene Mutter, sogar wenn man findet, dass der Partner oder die Partnerin eigentlich recht hat.
«Wenn Kinder da sind, muss die Rollenverteilung zwischen den Generationen neu geregelt werden.»
Ein wesentlicher Aspekt ist die Ablösung von den eigenen Eltern. Dabei geht es nicht um den Abbruch der Beziehung, sondern um eine Transformation: Die einst asymmetrische Eltern-Kind-Beziehung soll sich zu einer Begegnung auf Augenhöhe zwischen Erwachsenen wandeln. Im Alter von fünf Jahren ist es richtig, wenn die Mutter oder der Vater die Kleidung bereitlegt. Wenn man 25 Jahre alt ist, dann passt das nicht mehr. Gelingt diese Ablösung nicht, wird man in Gegenwart der Eltern wieder zum fünfjährigen Kind, was damals richtig war, wird zur übermässigen Einflussnahme. Es kommt zu ungefragten Ratschlägen, zur Kritik an der Partnerwahl oder zur Einmischung in die Kindererziehung.
Ein weiterer Konfliktpunkt ist die Loyalität gegenüber der Herkunftsfamilie. Wenn ein Partner sich nicht klar positioniert, entsteht beim anderen das Gefühl, nicht an erster Stelle zu stehen. Zum Beispiel, wenn die Schwiegermutter beim Essen zur Schwiegertochter sagt: «Also ich mache diese Sauce immer mit Rahm.» Wenn der Sohn dann sagt: «Ja, diese Sauce habe ich auch viel lieber mit etwas mehr Rahm», kann das zu einem Streit führen. Sobald die Schwiegereltern zur Tür raus sind, wird die Partnerin entweder wütend zu ihrem Partner sagen, dass er das nächste Mal selber kochen könne, oder sie zieht sich enttäuscht und beleidigt zurück und zeigt ihm die kalte Schulter. Der Partner wird vielleicht sagen, dass er es gar nicht böse meinte, aber dass er die Sauce wirklich lieber hat mit mehr Rahm … Die Partnerin fühlt sich allein gelassen, nicht ernst genommen oder sogar verraten – eine Dynamik, die zu emotionaler Entfremdung führen kann. Es wäre sehr hilfreich, wenn der Partner in diesem Moment sagen würde: «Ja, ich verstehe, dass du dich allein gefühlt hast, entschuldige bitte. Das war nicht meine Absicht, und ich werde besser darauf achten, was ich sage.»
Die Schwierigkeit, sich von den Eltern zu lösen, hat oft tiefere Ursachen. Eltern und Kinder haben eine starke Bindung, Schuldgefühle oder die Angst vor Ablehnung erschweren die Abgrenzung. Viele Menschen empfinden es als lieblos, sich zu distanzieren – schliesslich meinen es die Eltern doch nur gut. Man sollte ihnen doch dankbar sein, sie machen so viel. Manchmal kommt es dabei zu Grenzüberschreitungen, etwa wenn die Schwiegereltern nicht klingeln, wenn sie zu Besuch kommen, oder einfach ungefragt noch viele Süssigkeiten für die Kinder mitbringen, während man selbst versucht, die Kinder möglichst zuckerfrei zu ernähren. Wenn der Partner oder die Partnerin das Verhalten der Eltern toleriert, keine Stellung bezieht und einen im Regen stehen lässt, ist das enttäuschend. Die Auswirkung auf die Paarbeziehung ist zerstörerisch, man fühlt sich allein und nicht unterstützt von der Partnerin oder vom Partner.
Wie lässt sich mit diesen Herausforderungen konstruktiv umgehen? Zunächst ist eine klare Kommunikation im Paar entscheidend. Wichtige Entscheidungen werden immer zuerst mit dem Partner, der Partnerin besprochen. Zuerst sollte man sich als Paar auf gemeinsame Werte und Prioritäten einigen, beispielsweise in der Lebensführung, bezüglich der Freizeitgestaltung oder in der Kindererziehung … Wenn Paare gemeinsam hinstehen und den Schwiegereltern erklärt wird, wie das Paar die Sache sieht, entsteht Verlässlichkeit und Zusammenhalt. Gegenseitiger Rückhalt in Konflikten mit den Schwiegereltern stärkt die Beziehung. Ebenso wichtig ist das Setzen von Grenzen – liebevoll, aber bestimmt. Besuchszeiten, Erziehungsthemen und Einmischung sollten klar geregelt werden, etwa mit Formulierungen wie: «Wir wissen deinen Rat zu schätzen, aber wir möchten unseren eigenen Weg gehen.»
Auch die Reflexion der eigenen Rolle hilft: Warum fällt es mir schwer, mich gegenüber meinen Eltern abzugrenzen? Welche inneren Glaubenssätze stehen im Weg? Will ich es immer allen recht machen? Will ich um jeden Preis Harmonie? Habe ich Angst, für mich und meine Partnerin oder meinen Partner einzustehen? Und welches Bedürfnis, welche Anerkennung beeinflusst mein Verhalten als Schwiegertochter oder Schwiegersohn? Verständnis für die Schwiegermutter oder den Schwiegervater als Menschen, der selbst eine Entwicklungsaufgabe durchläuft – nämlich den Abschied von der aktiven Mutter- oder Vaterrolle –, kann helfen, Konflikte zu deeskalieren.
Nicht zuletzt kann professionelle Unterstützung hilfreich sein. Paartherapie zum Beispiel oder Einzelgespräche mit einem Coach oder einer Therapeutin bieten Raum, festgefahrene Muster zu erkennen und zu verändern. Manche Paare machen das auch präventiv, bevor die Kinder da sind. Sie wollen reinen Tisch machen, Klarheit gewinnen und sich sortieren als Paar. Es ist gut investiertes Geld und Zeit, da man sich die Eltern und die Schwiegereltern nicht auswählen kann, im Gegensatz zum Freundeskreis.
Die Auseinandersetzung mit den Schwiegereltern ist mehr als ein lästiges Übel – sie ist eine Chance zur persönlichen und partnerschaftlichen Reifung. Sie fordert uns heraus, unsere Werte zu klären, unsere Grenzen zu schützen und unsere Beziehungen bewusst zu gestalten. Wer diese Entwicklungsaufgabe annimmt, kann daraus eine tiefere Verbindung entwickeln – sowohl zum Partner oder zur Partnerin als auch zu den Schwiegereltern.
Salome Roesch, Paarberatung und Mediation im Kanton Zürich, Beratungsstelle Wetzikon