«Das sind alles Katholiken»

Roger Suter

Zum 50-jährigen Bestehen des Opfiker Parlaments gruben der Stadt- und der Ratspräsident tief in den Archiven und fanden Aufschlussreiches, aber auch Heiteres zur Opfiker Politik.

Wie feiert ein Parlament in der Schweiz einen runden Geburtstag? Natürlich mit einem Apéro. Dieser fand im Anschluss an die Sitzung vom 1. Juli statt und eingeladen waren alle, vor allem aber ehemalige Ratsmitglieder. Viele wohnten schon der regulären Sitzung bei und nahmen anschliessend unter dem Vordach des Singsaals Lättenwiesen Platz.

Stadtpräsident Roman Schmid gab eine kleine Geschichtslektion – und blickte dabei gut 600 Jahre zurück. ­«Damals ging die Kyburg in den Besitz der Stadt Zürich über», so Schmid. Es herrschte auch in Opfikon der Landvogt, der gleichzeitig Gesetze machte und umsetzte. «Deshalb wage ich zu behaupten: Früher war nicht alles besser.»

Man feiere aber nicht nur 50 Jahre ­Gemeinderat Opfikon, sondern auch 574 Jahre Gemeindeordnung, so Schmid weiter. Die erste – geschrieben ebenfalls auf der Kyburg – umfasste 19 Artikel, von denen ein paar auch der Bevölkerung zugutekamen. Doch erst 1798, mit der Hel­vetischen Republik, wurden die Rechte der Bevölkerung erneut gestärkt. «Es brauchte einen französischen Feldherrn, der hier einmarschierte und der Schweiz befahl, etwas mehr zu demokratisieren», merkte Schmid an.

Helvetik hat Opfikon zweigeteilt

Doch zunächst sei es für Opfikon komplizierter geworden: Das Dorf selber wurde Kloten, Oberhausen aber Seebach zugeschlagen. Erst mit der Mediationsverfassung von 1803 und der Gründung des ­modernen Kantons Zürich wurden Opfikon und Oberhausen wiedervereint, was Schmid an dieser Stelle dem Kanton verdankte. Ab jenem Jahr wurde Opfikon von einem dreiköpfigen Gemeinderat und einem Gemeindepräsidenten geleitet.

Ende 1918 entstand aus den Zivilgemeinden Opfikon und Oberhausen dann die heutige politische Gemeinde. Glattbrugg existierte einst nur in Form einer gedeckten Holzbrücke über die Glatt, wo sich heute die Schaffhauserstrasse befindet, und eines Gasthofs. Erst mit dem Boom des Flughafens Ende der 1940er-Jahre setzte hier die Bautätigkeit im grossen Stil ein. «Spätestens mit der Einführung des Frauenstimmrechts war dann der ‹Glatthof›-Saal zu klein für die Gemeindeversammlungen», so Schmid weiter, «und der Gemeinderat beantragte dem Stimmvolk in weiser Voraussicht ein Parlament. Dieses wurde am 23. September 1972 mit 1885 Ja zu 416 Nein deutlich angenommen.» Es tagte nach der allerersten Sitzung im «Glatthof»-Saal seither immer im Singsaal Lättenwiesen. «Und ich habe mir sagen lassen, es sei tatsächlich einfacher, etwas 36 Leuten zu erklären als 360 an der Gemeindeversammlung.»

Per Initiative wieder abschaffen?

1982 hatte das Parlament aber Gegenwind: Eine Volksinitiative mit 804 Unterschriften verlangte, stattdessen wieder Gemeindeversammlungen abzuhalten. An der Abstimmung gaben lediglich 80 Stimmen für die Beibehaltung den Ausschlag. Es liege auch in der Natur der Politik, dass Stadt- und Gemeinderat nicht immer einer Meinung seien, doch man diskutiere – abgesehen von ein paar Ausnahmen während seiner eigenen politischen Anfänge – mit Anstand und Respekt, so Schmid

Dieses Parlament sei aber nicht nur zum Diskutieren da, sondern eine wahre Talentschmiede, fuhr Schmid fort: «22 Mitglieder wurden in diesen 50 Jahren in den Stadtrat gewählt, was ich ihm hoch anrechne.» Während aber in seinem Manuskript noch stehe, er vermisse manchmal die grossen politischen Diskussionen im Rat, habe ihn dieser heute überrascht: «Wir haben fast alles gesehen, was das Parlament zu bieten hat: Beim Thema Schutzverband gab es engagierte Voten und den Stichentscheid des Ratspräsidenten zum Schluss.»

Auch im umgekehrten Fall, wenn nur die Fraktionssprecherinnen und Kommissionssprecher redeten und dann abgestimmt werde, zeuge das von der seriösen Vorbereitung: «Deshalb behaupte ich: Wir haben das beste und effizienteste Parlament in Zentraleuropa.» Angesichts der globalen Bewegungen sei unserer Demokratie Sorge zu tragen.

«Parlare», nicht streiten

Ratspräsident Jeremi Graf erinnerte daran, dass Parlament von «parlare» komme, von reden, nicht streiten. «Allerdings sind die Geschäfte heute derart komplex, dass man sich nicht erst während einer Diskussion in der Sitzung eine fundierte Meinung bilden kann.» Die Abstimmungen seien in diesem Sinne nur das Endresultat monatelanger Vorarbeit. Seine Aufgabe als 51. Ratspräsident sei deshalb nicht nur repräsentativer, sondern vor allem organisatorischer Art.

Über alle 275 bisherigen Mitglieder gerechnet sei jedes im Schnitt rund sechseinhalb Jahre aktiv gewesen. Rekordhalter mit 25 Jahren ist dabei Patrick Rouiller (Mitte). Das Parlament, das in den letzten 50 Jahren sowohl jünger als auch weib­licher geworden ist, hat in dieser Zeit 430 Sitzungen, 8,6 im Jahr, abgehalten. Vieles werde inzwischen ohne Papier, sondern digital am Computer erledigt.

Der Montag als Sitzungstag sei seinerzeit intensiv diskutiert worden; ebenso, ob man zum Abstimmen aufstehen, die Hand oder den Stimmzettel heben müsse. Die alten Protokolle – alle öffentlich im Internet einsehbar – enthielten dabei manch Spannendes, Lustiges, aber auch aus heutiger Sicht Seltsames: «Jemand konnte etwa der ersten Zusammensetzung der RPK nicht zustimmen, weil ‹das ja alles Katholiken› seien», so Graf. Paul Brogli, der erste Opfiker Ratspräsident überhaupt, sagte in seiner Eröffnungsrede: «Nehmen wir unsere Aufgabe ernst, aber nehmen wir uns selbst nicht allzu ernst.»