«Dancing Classrooms»: Von New York nach Opfikon
Während 10 Wochen haben sich die Fünftklässler auf den Abschlusstanz vorbereitet. Dabei mussten sie nicht nur Schritte üben, sondern auch über den eigenen Schatten springen.
Schon seit vielen Jahren finden im Schulhaus Mettlen «Dancing Classrooms» statt – wie in unzähligen Schulen weltweit. Entworfen wurde das pädagogische Tanzkonzept 1994 in New York. Der Tänzer, Choreograf und Tanzpädagoge Pierre Dulaine wollte seine Erfahrung weitergeben. Er selber war mit 14 erstmals in einen Tanzsaal, einen «Ballroom», «gestolpert». Er lernte Walzer, Tango und Foxtrott und der schüchterne Junge merkte, wie ihn diese Erfahrung veränderte und er Selbstvertrauen gewann.
«‹Dancing Classrooms› zielt darauf ab, dass die Kinder – und auch Lehrpersonen und Eltern – neue Talente und Seiten an sich kennenlernen und ihre Persönlichkeit entwickeln können», umschreibt Lehrer Simon Martinelli den Ansatz. «In diesen obligatorischen Lektionen zählen nicht die schulischen Leistungen, sondern Gefühl und auch der Umgang mit herausfordernden Situationen – denn jede tanzt mit jedem.» Trotzdem passt das Projekt hervorragend ins Bildungsprogramm, denn neben sozialen Kompetenzen wie Empathie, Toleranz und Verantwortungsgefühl sind auch Rhythmik und Bewegung Teil des Lehrplans 21. «Es geht um Nähe und Distanz, um Akzeptanz, um einen respektvollen Umgang miteinander», führt sein Kollege Daniel Hauser aus, dessen 5. Klasse ebenfalls teilnimmt. «Und Teamfähigkeit», fügt Simon Martinelli hinzu. «Sie ist im späteren Leben wichtiger denn je. Alles andere ist lernbar.» Dabei sei es eigentlich nebensächlich, wie gut die Kinder am Schluss die vielen Tanzschritte beherrschten. «Das Beste daran ist für mich der Prozess.»
Dieser Prozess gipfelt dann im Abschlussfest (siehe Artikel oben). Nach dem Sprichwort «Kleider machen Leute» putzen sich die Kinder heraus, wenn ihre Eltern, Grosseltern, Götti und Geschwister kommen. Entsprechend gross seien die Vorfreude, aber auch die Anspannung vor dem Anlass. «Dann aber wachsen die Kinder förmlich und haben eine ganz andere Haltung», findet Simon Martinelli.
«Jungs sind manchmal grusig»
Das war nicht von Anfang an so. Die Situation im Singsaal mit einer Tanzlehrerin ist neu. Mitschülerinnen und Mitschüler an den Händen zu halten, kostet viel Überwindung, die nicht alle aufbringen. «Jungs sind manchmal grusig», finden Anela und Liëlle, «sie bööggen. Und sie waschen sich die Hände nicht.» So haben Simon Martinelli und Daniel Hauser die obligatorische Handdesinfektion vor der Tanzlektion eingeführt.
Und es wirkt: «Es macht inzwischen richtig Spass», sagt Yusuf. «Ich tanze am liebsten Tango.» Auch Cihan hat die Hemmungen überwunden: «Die meisten halten sich inzwischen an den Händen und werden deswegen auch nicht heiraten» – eine zu Beginn oft gehörte Befürchtung.
Alle sind «Ladies and Gentlemen»
Erteilt werden die Lektionen in der Schule Mettlen von Nicole Ziegler, hauptberuflich Primarlehrerin im Zürcher Schulhaus Entlisberg. Sie praktiziert seit 15 Jahren Paartanz und gibt seit 2 Jahren mit 14 lizenzierten Kolleginnen und 2 Kollegen Unterricht bei «Dancing Classrooms Schweiz», dem gemeinnützigen Verein, der das Programm den Schulen anbietet. Beim Zusehen und -hören unterscheidet sich ihre Lektion kaum von jenen für Erwachsene. Sie spricht die Kinder konsequent mit «Ladies and Gentlemen» an – was weit mehr als eine Floskel ist: Die Angesprochenen fühlen sich ernst genommen, fast ein bisschen erwachsen. Und dieser Reifeprozess ist erklärtes Ziel des Programms. «Es kommt auch äusserst selten vor, dass ich laut werden muss», sagt Nicole Ziegler. Text und Bilder Roger Suter