Café International: Ein Ort, an dem Sprache Brücken baut
Dienstags verwandelt sich der Kirchgemeindesaal in einen interkulturellen Begegnungsort. Der «Stadt-Anzeiger» war dabei, um herauszufinden, wie hier Begegnung, Integration und Eigeninitiative lebendig werden.
Beim Eintreten fällt sofort die besondere Atmosphäre auf. An den zusammengeschobenen Tischen sitzen kleine Runden, die Gespräche verlaufen gleichzeitig in verschiedene Richtungen. Tatjana tauscht sich mit Olga aus, während am anderen Ende des Raumes Rahul und Rika vertieft diskutieren. Kinder schlängeln sich frei zwischen den Erwachsenen hindurch, manche spielen draussen auf dem Spielplatz, andere blättern in Bilderbüchern und versinken in bunten Illustrationen. Es herrscht eine Leichtigkeit, die zugleich von Vertrautheit geprägt ist – viele kennen sich, man grüsst sich, man weiss, wer wessen Kinder sind .
Shqiponja Zahiri, seit Jahren in der Familienarbeit der Stadt Opfikon tätig, schenkt Tee aus, stellt Trauben und Kekse auf den Tisch. «Mir gefällt vor allem der Kontakt mit den Menschen, die Abwechslung und die Vielfalt», sagt sie, während sie zwischen den Gruppen pendelt. Für die Teilnehmenden ist es wohl genau dieser Mix aus alltäglicher Gastfreundschaft und professioneller Begleitung, der den Ton des Nachmittags bestimmt.
Gespräche über den Alltag
Zu Beginn gibt es eine kurze Vorstellungsrunde. Manche Formulierungen geraten ins Stocken, ein Wort fehlt, ein Verb bleibt unkonjugiert. Dann springt Sarah Bregy ein, Integrations- und Familienbeauftragte der Stadt Opfikon. Sie leitet den Nachmittag an, erklärt, unterstützt und ergänzt behutsam. Für sie ist das Café International Teil eines grösseren Engagements: Sie berät Familien, begleitet Mütter und Väter, organisiert Deutschkurse – und sorgt dafür, dass es Orte wie diesen gibt, an denen sich Sprachen berühren dürfen .
Die Gespräche, die sich anschliessen, kreisen um ganz unterschiedliche Themen: den Beginn des Schul- und Kindergartenjahres, kleine Alltagsbeobachtungen aus der Gemeinde oder Neuigkeiten aus dem Leben der Anwesenden. Man erfährt voneinander, wer gerade eine Arbeit sucht, welche Kinder eingeschult wurden oder welche Veränderungen seit dem letzten Treffen eingetreten sind. Das Café ist keine offizielle Beratungsstelle, doch Sarah Bregy empfiehlt bei Bedarf passende Angebote – etwa bei Fragen zur Jobsuche oder zu familiären Herausforderungen – und verweist bei Bedarf auch auf ein persönliches Gespräch in ihrem Büro. «Hier kann ich sprechen, ohne Angst zu haben, Fehler zu machen», erklärt Rahul, der früher in Indien als Softwareingenieur tätig war. «Es ist wichtig, dass ich weiter übe – und dass meine Tochter gleichzeitig Freundschaften schliessen kann.» Bald möchte er eine neue Stelle antreten; zuvor war er vor allem in englischsprachigen Arbeitsumfeldern tätig.
Ein Pferd mit vielen Namen
Den Abschluss des Nachmittags bildet ein gemeinsames Spiel. Auf den Tisch kommt ein Spielbrett, bunt wie ein Mosaik, mit Feldern, die Symbole aus verschiedenen Ländern und Kulturen zeigen. Ein Würfel rollt, eine Karte wird gezogen. Die Aufgabe: auf ein Tier zu zeigen und es in mehreren Sprachen zu benennen. Aus einem Pferd wird ein Pferd, ein Hesp, ein Kalë, ein Una, ein Ghorā oder eine Loshad. Es wird gelacht, wenn die Zunge an einer ungewohnten Lautfolge scheitert, und gestaunt, wenn ein Klang vertraut wirkt – obwohl er aus einer ganz anderen Sprache stammt.
Für Rika aus Japan, die derzeit nicht arbeitet, um sich um ihre Tochter zu kümmern, ist dieser Nachmittag mehr als nur ein Zeitvertreib. «Am Anfang fand ich es schwierig, frei zu sprechen.» Shqiponja ergänzt: «Aber man merkt schnell, dass man nie allein sucht. Alle helfen – und man erfährt, dass Sprache verbinden kann.»
Das Spiel ist in dieser Variation kein Wettkampf, niemand zählt Punkte, niemand gewinnt. Es ist vielmehr eine Einladung, sich niederschwellig zu öffnen, Brücken zu schlagen, Bedeutungen zu teilen oder über Unterschiede zu diskutieren. Jeder Zug wird zu einem kleinen Fenster, hinter dem sich ein Dialog auftut, jede Karte zu einem Zeichen dafür, dass Verständigung auch jenseits der Perfektion möglich ist .
Biografien von Flucht bis Alltag
Hinter jeder Stimme im Raum steht eine Geschichte. Olga, 66 Jahre alt, floh 2022 aus der Ukraine. Heute ist sie pensioniert und lebt mit ihrer Tochter in Opfikon, ihr Sohn ist derzeit in Polen. Sie besucht einen Deutschkurs, hat das B1-Niveau erreicht (Hauptpunkte und vertraute Dinge verstehen; Erfahrungen, Ereignisse, Träume und Ziele beschreiben), doch die Praxis fehlt. «Hier kann ich üben, denn im Kurs bleibt es häufig bei der Theorie», sagt sie.
Auch Amina Hussein, die seit drei Jahren kommt, sieht im Café mehr als nur ein Sprachangebot. Sie arbeitet freiwillig im Spielraum ara Glatt, hat zwei Söhne und fand den Weg hierher über den Familientreff. «Es ist ein Ort, an dem ich mit anderen reden kann. Manchmal sind es kleine Dinge, manchmal grosse Hindernisse. Aber es ist immer schön zu sehen, dass ich nicht allein bin – und dass ich Nachbarinnen neu kennenlernen kann.»
Tatjana, die im Glattpark lebt, hebt die besondere Stimmung hervor: «Die Leiterin ist sehr sympathisch, die Kinder haben ihre Freiheit, und wir Erwachsenen können reden. Es ist eine Pause vom Alltag.» Da es keine offizielle Kinderbetreuung gibt, bleibt der Geräuschpegel im Kirchgemeindesaal vergleichsweise niedrig. Gerade das ermögliche, dass auch Mütter und Väter ungestört sprechen können, während ihre Kinder im selben Raum beschäftigt bleiben. Für Amina Hussein ist es deshalb auch «ein Ort zum Runterkommen».
Ein Angebot mit klarer Mission
Das Café International ist längst eine feste Institution in Opfikon. Es ist ein gemeinsames Projekt der Stadtverwaltung und der Kirchen Opfikon und findet abwechslungsweise bei der katholischen und der reformierten Kirche statt. In der reformierten Kirche leiten Sarah Bregy und Shqiponja Zahiri das Café und in der katholischen Kirche Chitra Russo. Das Angebot ist eigenständig entstanden, unabhängig von anderen Gemeinden, in denen es das Café International ebenfalls gibt.
Die Grundidee ist einfach: Menschen unterschiedlicher Herkunft sollen Deutsch sprechen können – ohne Druck, ohne Anmeldung, kostenlos. «Viele kommen über die Deutschkurse hierher, andere werden von Freundinnen mitgenommen», erklärt Bregy. Auf diese Weise wächst die Runde von Treffen zu Treffen, oft spontan. Manche entdecken hier sogar, dass sie Nachbarn sind, tauschen Nummern aus, verabreden sich – und nicht selten entstehen daraus Freundschaften. Die Mehrheit der Teilnehmenden hat einen Migrationshintergrund, teilweise kommen aber auch Menschen ohne Migrationserfahrung, die den Austausch suchen.
Solche Angebote leben von der Eigeninitiative der Menschen, die hier zusammenkommen. Mitunter entstehen daraus ganz neue Ideen – wie jene von Rahul, der plant, einen Deutschtreff in der Bibliothek zu organisieren. Es werden auch viele Tipps und Informationen in Whatsapp-Gruppen ausgetauscht oder die mehrsprachige App Parentu genutzt (welche auch die Schule Opfikon benutzt), die Eltern mit Alltagstipps unterstützt und auf Veranstaltungen hinweist.
Für Shqiponja Zahiri, die an vielen Orten engagiert ist, liegt genau darin der Kern: «Es ist die Vielfalt, die zählt. Ich moderiere auch andere Projekte, zum Beispiel Femmes-Tisch-Gesprächsrunden oder Lesestunden für Kinder, beides auf Albanisch. Sie betont, dass man hier im Café sehen könne, wie unmittelbar und unkompliziert Integration gelingen könne. Es brauche nicht viel – einen Raum, etwas Tee, ein paar Kekse – und die Menschen kämen ins Gespräch.
Der stille Wert des Gemeinsamen
Als sich der Nachmittag dem Ende neigt, wird gemeinsam aufgeräumt. Teller und Tassen verschwinden, die Stühle rücken zurück an ihren Platz. Manche verabschieden sich einzeln, andere gehen zusammen weiter. Zurück bleibt der Eindruck, dass dieser Raum nicht mehr sein musste als ein Treffpunkt – und doch für zwei Stunden ein Ort war, an dem Sprache nicht trennt, sondern verbindet, an dem aus Fremden Bekannte werden und Unsicherheiten keine Mauern bauten, sondern kleine Schritte in Richtung Sicherheit ermöglichten. «So wird Integration zu einem alltäglichen Moment», fasst Sarah Bregy zusammen .