Mitstudierende prägen unsere Persönlichkeit
Studierende werden wettbewerbsfähiger, offener und gewissenhafter, wenn sie mit Mitstudierenden zusammenarbeiten, die diese Eigenschaften stärker aufweisen. Dies zeigt eine neue Studie der Universität Zürich, die erstmals systematisch untersucht, wie Gleichaltrige die Persönlichkeit von Studierenden prägen.
Beeinflusst unsere soziale Umgebung, wer wir sind? Die Theorie der Gruppensozialisation geht davon aus, dass unsere Persönlichkeit massgeblich durch den Wunsch geformt wird, zu sozialen Gruppen zu gehören und sich in ihnen zu behaupten – etwa im Studium, einer Lebensphase intensiver sozialer Interaktion. Bisher fehlten jedoch überzeugende Belege für einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Einfluss von Gleichaltrigen und der Persönlichkeitsentwicklung.
Diese Forschungslücke haben Ulf Zölitz, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Zürich, und Xiaoyue Shan von der National University of Singapore gemäss einer Mitteilung mit einem randomisierten Feldexperiment unter Bachelor-Studierenden geschlossen. Ihre neue Studie belegt, dass Persönlichkeit formbar ist und durch die Sozialisation mit Gleichaltrigen geprägt wird.
Fünf Eigenschaften bewertet
Im Experiment wurden rund 1200 Studierende eines grossen Bachelor-Studiengangs in der Schweiz untersucht. Zu Beginn wurden laut Mitteilung der Universität Zürich Persönlichkeitsmerkmale wie Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion sowie die Wettbewerbsorientierung erfasst. Anschliessend wurden die Studierenden nach dem Zufallsprinzip in Vierergruppen eingeteilt, die ein Semester lang regelmässig in Vorlesungen, Tutorien und Lerngruppen miteinander interagierten. Kurz vor Ende des Semesters und bis zu vier Jahre nach dem Experiment wurden Nachbefragungen durchgeführt, um mögliche Langzeiteffekte der sozialen Interaktion auf Persönlichkeitsmerkmale zu messen.
Kompetitiver und gewissenhafter
Die Analyse ergab sogenannte «Spillover»-Effekte auf die Persönlichkeit: Studierende entwickelten höhere Ausprägungen in Wettbewerbsfähigkeit, Offenheit und Gewissenhaftigkeit, wenn ihre Gruppenmitglieder diese Eigenschaften bereits mitbrachten. Keine signifikanten Effekte zeigten sich bei Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus. «Eine mögliche Erklärung ist, dass gewissenhafte Gruppenmitglieder zu häufigeren studienbezogenen Interaktionen beitrugen, was wiederum Stress und Ängste bei ihren Kommilitonen reduzierte», lässt sich Ulf Zölitz in der Mitteilung zitieren.
Besonders ausgeprägt war demnach die Übernahme von Eigenschaften, die im akademischen Kontext erfolgsrelevant sind, wie zum Beispiel Gewissenhaftigkeit und Wettbewerbsorientierung. Wie es in der Mitteilung heisst, stütze dies das Konzept der «motivierten Persönlichkeitsveränderung», demzufolge Individuen gezielt Eigenschaften internalisierten, die ihren persönlichen Zielen förderlich seien. «Unsere Ergebnisse legen nahe, dass der Einfluss produktiver Persönlichkeitsmerkmale von Peers ebenso entscheidend sein kann wie das akademische Leistungsniveau des Umfeldes», so Wirtschaftswissenschaftler Zölitz.
Auch langfristig stabil
Auch langfristig – bis zu vier Jahre nach dem Experiment – blieben die Effekte auf Gewissenhaftigkeit und Wettbewerbsorientierung stabil. Die Einflüsse auf die Offenheit nahmen dagegen mit der Zeit ab. «Auf individueller Ebene zeigt sich, wie wichtig es ist, sich der Persönlichkeitsmerkmale von Freunden und Gleichaltrigen bewusst zu sein, um die eigene Entwicklung positiv zu gestalten», betont Zölitz.
Auf kollektiver Ebene werfen diese Persönlichkeitsübertragungen weitergehende Fragen auf. Insbesondere für Bildungseinrichtungen, politische Entscheidungsträger und Familien könnten die Erkenntnisse relevant sein, so Zölitz in der Mitteilung der Universität Zürich – etwa bei der Zusammensetzung von Gruppen in Schulen oder bei der Wahl des Wohnumfeldes. Zudem stelle sich die Frage, ob auch ökonomische oder soziale Einstellungen in ähnlicher Weise durch Peers geprägt werden können. Weitere Forschung könnte klären, inwieweit Peergroups unser Verhalten auf diesen Ebenen beeinflussen. (pd.)