«Ich orientiere mich an der Realität»
Alain Sutter hat beim Grasshopper Club Zürich keine einfache Aufgabe übernommen. Im Interview spricht der Sportchef über die Zusammenarbeit mit den GC-Besitzern aus Los Angeles und darüber, warum es für den traditionsreichen Fussballklub schwierig ist, an frühere Glanzzeiten anzuknüpfen.
Alain Sutter, Sie haben vor wenigen Monaten als Sportchef bei GC angefangen. Was war für Sie der ausschlaggebende Punkt, um zu Ihrem früheren Verein zurückzukommen?
Mir hat das Projekt gefallen, aber vor allem hatte ich ein gutes Gefühl mit den Leuten, die beteiligt sind – das heisst mit den Verantwortlichen aus Los Angeles. Als sie mir ihre Idee von GC präsentiert haben, habe ich diese sehr spannend gefunden. Es hat mir total entsprochen, was sie machen wollen. Am Schluss geht es immer um den Inhalt, der passen muss, aber auch um Menschen – und das muss auch passen, damit ein solches Projekt für mich interessant ist.
Sie haben ja gesagt, diese Rückkehr sei nicht nur eine Herzensangelegenheit, sondern auch ein Job.
Nein, ich habe gesagt, es sei keine Herzensangelegenheit, es sei ein Job.
Genau – oder was habe ich gesagt?
Ihre Aussage war eine andere. Sie haben gesagt, es sei nicht nur eine Herzensangelegenheit. Es ist keine Herzensangelegenheit, es ist ein Job.
Sie sagen, dass Sie ein gutes Gefühl mit den Besitzern aus LA hatten. Andere haben das sehr kritisch gesehen, dass die Investorengruppe um den Los Angeles FC aus den USA das berühmte GC gekauft hat. Was hat Sie genau überzeugt?
Mich hat die Art und Weise überzeugt, wie sie an die Sache herangehen, und die Ideen, die sie haben. Es sind die Inhalte und die Werte, die für mich entscheidend sind, und nicht, von woher die Leute kommen.
Können Sie das etwas genauer erklären?
Die Besitzer wollen mit dem LAFC und den anderen Vereinen, die wie GC dazugehören, den Menschen Freude bereiten. Das entspricht mir total. Ja, Fussball geht um Resultate, aber das ist nur ein Teil davon. Es geht um viel mehr. Wir sind ein Teil der Unterhaltungsindustrie, die Leute bezahlen Eintritt und sie wollen unterhalten werden. Wenn man diesen Job macht, dann möchte man den Leuten Freude bereiten.
Das heisst also, Sie möchten an die ehemaligen Glanzzeiten von GC anknüpfen. Das müsste das Ziel sein, wenn Sie den Fans Freude machen wollen.
Ich orientiere mich an der Realität – und die Realität hat nichts mit der Vergangenheit zu tun. Dass die Leute im Umfeld – ob das Journalisten oder Fans sind – sich die Vergangenheit wieder zurückwünschen, ist völlig okay. Aber für mich in dieser Position, in diesem Job, ist es wichtig, mich an der Realität zu orientieren und die hat wenig mit den Glanzzeiten zu tun.
Ist diese neue Realität von GC auch dem LAFC bewusst? Bei den früheren Besitzern aus China hatte man das Gefühl, dass diese etwas anderes gekauft haben, als sie sich erhofften.
Ich glaube, dass man auch immer fair bleiben muss. Sie haben sich natürlich schon vor dem Kauf ein genaues Bild gemacht und wussten, auf was sie sich einlassen. Wie die Realität effektiv aussieht, das merkt man aber erst, wenn man direkten Einblick ins Tagesgeschäft hat. Zu dem Zeitpunkt, als ich mit ihnen ins Gespräch kam, haben sie die Situation schon sehr realistisch eingeschätzt.
Was wollten Sie als neuer Sportchef zuerst angehen – die Spielphilosophie, das Kader oder die Nachwuchsarbeit?
Als ich angefangen habe, ging es primär darum, nicht abzusteigen. Ich konnte noch den einen oder anderen Impuls geben, um dazu beizutragen, dass wir in der Super League geblieben sind. Danach ging es nahtlos weiter. Es war eine kurze Sommerpause, viele Verträge sind ausgelaufen – Spielverträge wie Trainerverträge. Neue Trainer und neue Spieler suchen war darum sicher von Anfang an Priorität. Als das neue Trainerteam und die Mannschaft gestanden sind und der Saisonbetrieb losging, rückte auch der Nachwuchs in den Fokus. Eins nach dem anderen.
Und was ist Ihre grösste Baustelle?
Ich sehe meine Aufgaben nicht als Baustellen, sondern es gibt in einem Fussballverein immer Dinge zu tun. Jetzt hat gerade Ramin Pandji neu angefangen, der, was Fussball anbelangt, für die Organisation und für die Strategie zuständig ist. Der Hauptfokus ist im Moment, mit ihm die finanziellen und organisatorischen Belange anzuschauen.
Muss man als Sportchef auch ein Buchhalter sein?
Nein, man muss kein Buchhalter sein. Aber ich bin verantwortlich für das Budget des Sports. Es hilft sicher, wenn man ein Budget lesen und einordnen kann. Gewisse grundsätzliche Wirtschaftszahlen sollte man verstehen.
«Aber ganz grundsätzlich finde ich es frech, wenn Journalisten fragen, wieso die Amis nicht mehr Geld ausgeben.»
Sie haben mal gesagt, dass sich GC beim Budget im Bereich der tiefsten der Liga bewegt. Warum schiessen dann die Besitzer aus den USA nicht mehr Geld ein?
Zuerst einmal möchte ich präzisieren: Ich habe gesagt, dass wir eines der kleinsten Spielerbudgets haben. Das ist ein Unterschied, weil das die relevante Grösse für mich ist. Wichtig ist, wie viel Geld, das wir erwirtschaften und das aus LA kommt, am Ende übrig für die Mannschaft bleibt. Und dort sind wir definitiv hinten mit dabei. Aber ganz grundsätzlich finde ich es frech, wenn Journalisten fragen, wieso die Amis nicht mehr Geld ausgeben.
Wieso finden Sie das frech?
Ich finde es frech, weil die Besitzer jedes Jahr 15 Millionen Franken einschiessen müssen. Der LAFC ist ein Wirtschaftsunternehmen. Das ist kein Hobby, bei dem Geld einfach verteilt wird, weil die Besitzer nicht wissen, was sie sonst damit anfangen sollen. Der LAFC muss das Geld zuerst erarbeiten und dann sind 15 Millionen extrem viel. Dieses Bewusstsein müssen wir im ganzen Umfeld schaffen. GC ist defizitär und kann das Geld, das es braucht, um in der Super League zu spielen, gar nicht selbst erwirtschaften. Wir müssen mehr Einnahmen generieren, damit am Ende mehr Geld fürs Spielerbudget übrig bleibt und wir uns sportlich weiterentwickeln können.
Wo versickert denn das Geld – wieso hat GC ein strukturelles Defizit?
Ich glaube nicht, dass es je einen Zeitpunkt gab, an dem GC nicht defizitär war. Der Verein hat immer von Gönnern gelebt. Sie haben gefragt, wo das Geld versickert. Wir haben hier einen Campus, der extrem viel Geld verschlingt. Ich habe immer gesagt, der Campus in Niederhasli ist Fluch und Segen zugleich. Auf der einen Seite haben wir es super hier. Auf der anderen Seite ist es ein Luxus, den wir uns eigentlich gar nicht leisten können. Die Stadionthematik ist ebenfalls ein Riesenfaktor, weshalb GC weiterhin ein grosses strukturelles Defizit hat.
Das klingt nach einer sehr schwierigen Situation, um aus dem Defizit herauszukommen.
Wir haben eine hohe Stadionmiete, eine hohe Miete für das Trainingsgelände und relativ wenige Einnahmemöglichkeiten. Solange das neue Hardturm-Stadion nicht da ist, können wir froh sein, dass es ein Unternehmen wie den LAFC gibt, das trotzdem an die Marke, an das Projekt, glaubt – und eine Vision und eine Idee hat. Jetzt liegt es an uns hier vor Ort, dass wir gut arbeiten, die Leute begeistern, ihnen Freude machen. So können wir mehr Sponsoring und mehr Zuschauereinnahmen generieren und irgendwann einmal Transfer-Einnahmen machen, damit sich das strukturelle Defizit langsam, aber sicher verkleinert.
Wenn Sie in zwei bis drei Jahren zurückblicken – was wäre für Sie ein Symbol des Erfolgs, worauf wären Sie stolz?
Wir hätten es sicher gut gemacht, wenn die Zuschauerzahlen gestiegen sind, wenn die Fans Freude an der Mannschaft haben oder wenn eigene Junioren den Sprung in die erste Mannschaft geschafft haben. Schön wäre auch, wenn wir Spieler so weiterentwickelt haben, dass sie Transfers in grössere Ligen machen und den nächsten Schritt gehen können. Wenn wir das in drei Jahren schon geschafft hätten, dann hätten wir ziemlich gut gearbeitet. Wichtig ist, dass wir uns an der Realität orientieren. Unsere Fans wollen, dass GC bald wieder Meister und Cupsieger ist. Das ist normal. Doch meine Aufgabe ist es, die Realität abzubilden, damit die Leute draussen ein realistisches Bild haben, wie es bei uns aussieht.
Insbesondere in Zürich geht es statt ums Sportliche häufig um Fangewalt. Es gibt GC-Fans, die sich nicht mehr mal trauen, mit dem Trikot an die Spiele zu fahren, weil sie Angst vor FCZ-Fans haben. War das früher anders, als Sie noch bei GC spielten?
Schon als ich mit 17 Jahren bei GC als Spieler anfing, habe ich in der Stadt eigentlich niemanden mit einem GC-Trikot herumlaufen sehen. Aber ich habe auch niemanden mit dem FCZ-Trikot gesehen. Das ist heute nicht anders. Wenn es nicht im Umkreis eines Fussballstadions ist, läuft eigentlich selten jemand im Trikot herum – weder GC-Fans noch FCZ-Fans.
Aber insbesondere in den Medien ist das Thema Fangewalt zum Teil wichtiger als das Sportliche. Stört Sie das nicht?
Unabhängig davon, ob ich Sportchef von GC bin oder nicht, Gewalt ist immer ein Problem – egal in welchem Zusammenhang. Eigentlich sollten wir als Menschen doch schon so weit entwickelt sein, dass wir nicht auf Gewalt zurückgreifen müssen, um unsere Meinungsverschiedenheiten, Rivalitäten oder Konflikte zu lösen. Das Thema stört mich insofern, dass es heutzutage überhaupt noch nötig ist, darüber zu sprechen.
Im Januar 2024 haben sich die Wege von Ihnen und dem FC St. Gallen getrennt. Sie sollen damals als Sportchef nicht mit der neuen Strategie des Verwaltungsrats einverstanden gewesen sein. Wie sehr hat Sie diese Erfahrung geprägt – befürchten Sie, dass so etwas Ähnliches bei GC passieren könnte?
Nein, überhaupt nicht, das sind zwei Paar Schuhe. Beim FC St. Gallen ist es so gewesen, dass der Verwaltungsrat entschieden hat, dass sie mit anderen Leuten diese neue Strategie verfolgen wollen. Das ist ein Teil des Business. Das Leben ist kein Wunschkonzert.
Sie hätten die neue Strategie des Verwaltungsrats des FC St. Gallen damals also mitgetragen?
Es war nicht mein Entscheid, den FC St. Gallen zu verlassen.
Sie haben gesagt, der LAFC sei ein Fussballunternehmen. GC-Präsidentin Stacy Johns kommt nicht jede Woche ins Stadion und sitzt wie andere Vereinspräsidenten in der VIP-Loge. Für den LAFC ist GC ein Business. Haben Sie also regelmässige Meetings wie bei anderen Firmen – zum Beispiel per Zoom oder Teams?
Wir sind regelmässig im Austausch.
Dann müssen Sie präsentieren, wie es im Verein läuft?
Ja, selbstverständlich. Wir haben eine Geschäftsleitung mit drei Leuten. Jeder hat seine Abteilung, und dann haben wir unsere regelmässigen Sitzungen, bei denen wir die Präsidentin informieren, sodass sie jederzeit im Bild ist. Auch Harald Gärtner, der vom LAFC für Europa zuständig ist, und Lukas Grether, der fürs globale Geschäft zuständig ist, sind regelmässig hier. So ist der Informationsfluss nach Los Angeles gewährleistet.
Ist es ein Vorteil, wenn man nicht Angst haben muss, dass die Präsidentin plötzlich neben dem Trainer auf der Bank sitzt, weil einfach eine gewisse Distanz da ist – nur schon räumlich?
Für mich ist das zu wertend, ob das eine gut ist und das andere nicht. Es gibt einfach immer verschiedene Gegebenheiten und am Ende will jeder das Beste für seinen Verein.
Als Zuschauer hat man manchmal das Gefühl, dass das Niveau in der Super League in den letzten Jahren nicht besser geworden ist. Stimmt der Eindruck?
Es ist müssig, die Gegenwart mit der Vergangenheit zu vergleichen. Wir können das heutige GC nicht gegen das GC vor 10 oder 15 Jahren spielen lassen. Ich habe in St. Gallen gesehen und ich sehe es jetzt hier bei GC, dass junge Leute da sind, die besser werden wollen, die viel Talent haben, die alles dafür tun, dass sie auf ihr höchstes Level kommen.
Grosse Klubs in Europa haben immer mehr Geld und werden immer stärker. Ist das etwas, was einem als kleiner Klub Sorgen bereitet?
Ich glaube, das schaut jeder anders an, aber für mich spielt es keine Rolle. Ich kann das eh nicht beeinflussen.
Viele europäische Vereine haben grosse Kader und zahlen deutlich mehr. Junge Spieler, die vielleicht perfekt zu GC passen würden, wechseln darum dorthin und versauern auf der Bank.
Ja, das ist so. Aber was möchte ich mich darüber aufregen? Das sind einfach die Gegebenheiten dieses Business.
Sie wirken allgemein ziemlich entspannt. Was stimmt Sie so positiv?
Wir haben einen klaren Plan und ich habe extrem grosses Vertrauen in die Menschen, die hier sind. Wir haben sehr gute Leute hier, und ich weiss, dass wir alle zusammen alles dafür tun, dass wir so erfolgreich sind wie möglich. Das stimmt mich positiv.
Zur Person
Alain Sutter (57) war einer der prägenden Schweizer Fussballer der 90er-Jahre. Mit den Grasshoppers gewann er zweimal die Meisterschaft und zweimal den Cup, spielte später unter anderem für den FC Bayern München, bevor es ihn zu den Dallas Burn in die USA zog. Für die Nati absolvierte er 62 Spiele. Nach seiner Aktivkarriere wurde er TV-Experte und dann Sportchef des FC St. Gallen. Seit Mai 2025 ist er in derselben Rolle bei GC tätig.