«Ich bin weder arrogant noch besoffen»

Richard Stoffel

Jeff Tomlinson (55) ist in Kloten eine Legende: Der Aufstiegstrainer von 2022, der Kloten 2023 auch noch in die Pre-Playoffs führte, musste seine Coaching-Karriere frühzeitig beenden – nicht wegen fehlender Erfolge, sondern wegen einer schleichenden Erblindung.

Tomlinson sah sich schon früher mit erheblichen gesundheitlichen Herausforderungen konfrontiert – einem Herzinfarkt (2016) oder einer Nierentransplantation (2019). Nach Infarkten in beiden Augen ist Tomlinson nun seit 2021 nahezu blind. Das Seh-Handicap konnte Tomlinson über einen erstaunlichen Zeitraum kaschieren – als Cheftrainer halfen ihm vorab seine eindrucksvoll loyalen Assistenten und weitere Personen im nächsten Umfeld. «Blindes Vertrauen» heisst denn auch der Titel des Buches von und über Jeff Tomlinson, mit dem er sich outete.

Autor des Buches ist der «Tages-Anzeiger»-Journalist Kristian Kapp, der seit Jahrzehnten ein profunder Kenner der Schweizer Eishockey-Szene ist. Tomlinson hatte sich während der letzten Playoffs in der Vorbereitung zu einem Hockey-Podcast des «Tages-Anzeigers» dem Autor Kristian Kapp anvertraut. Kapp bemerkte damals, dass Tomlinson das umstrittene ZSC-Tor in der Viertelfinalserie zum 1:0-Sieg vom 17. März (spätere Endstand war 4:1 in der Serie) im Video gar nicht sehen konnte beziehungsweise gesehen hatte. Deshalb beschrieb Kapp dem Kanadier die Szene detailgetreu, worauf Tomlinson für die Ausstrahlung gebrieft war und keiner bei Tomlinsons Einschätzungen dazu etwas bemerkte.

«Ich habe mich geschämt»

Es entwickelten sich in der Folge ausgiebige Gespräche zwischen Kapp und Tomlinson, die schliesslich zum Buch und dem damit verbundenen Outing von Tomlinson führten. «Ich habe mich geschämt, dass ich so schwach bin. Ich hatte mich geschämt, dass ich so egoistisch bin. Ich habe mich geschämt, dass ich nicht mehr das Gute gesehen habe in meinem Leben, in meiner Familie, in meinem Job und mit meinen Freunden. Das war mir zu gross, diese Herausforderung», sagte Tomlinson dazu in einer TV-Doku dazu gegenüber MySports.

Buchautor Kapp betont gegenüber dem «Klotener Anzeiger» zum Buch-Inhalt: «Es kommen Spieler oder Menschen zu Wort, die wirklich nichts davon wussten. Sie erfuhren es erst durch die Entstehung des Buches. Sie wussten vielleicht schon, dass er nicht mehr gut sah. Doch über das genaue Ausmass wussten sie nicht Bescheid.» Weshalb muss man das Buch unbedingt gelesen haben? «Weil es einfach eine unglaubliche Geschichte ist, die ich selbst noch nicht richtig glaube», so Kapp.

Im Exklusiv-Interview mit dem «Klotener Anzeiger» stellt Tomlinson klar, weshalb er gegen aussen kein Schauspieler mehr sein wollte. Er schildert die Reaktionen auf sein Outing, den wahren Kern seines Buches, emotionale Tiefpunkte - und wie er heute dem EHC Kloten noch zur Seite steht.

Was waren und sind die Reaktionen über das Outing von der nahen und fernen Hockey-Welt, ehemaligen Weggefährten und so weiter?

Es gab unterschiedliche Reaktionen, weil hinter jedem Menschen, der mich kennt, eine andere Geschichte steht. Teilweise waren sie emotional. Ich hatte ehemalige Spieler, die mir erklärten, dass ich in der Eishalle an ihnen vorbeigelaufen sei. Nun wüssten sie, warum. Einer sagte: Ich war damals enttäuscht. Viele gute Wünsche, Kraft, es ging unterschiedlich. Weshalb jetzt oder weshalb nicht früher? Oder: Ich hätte es auch gerne gewusst. Es war eine breite Palette der Reaktionen, allgemein waren die Reaktionen aber sehr positiv.

Was muss man zum Inhalt des Buches wissen?

Es ist eigentlich eine Geschichte über meine letzten paar Jahre als Trainer, die zeigt, wie meine Augenprobleme kontinuierlich schlimmer wurden und die Hürden, die ich hatte, und die Leute, die mir geholfen hatten. Und es zeigt, dass man solche Phasen auch überstehen kann und es aber auch wichtig ist, sich auch Hilfe zu holen und mit anderen Leuten zu sprechen, um aus dieser Phase rauszukommen. Wir alle haben Probleme. Und das ist eine Botschaft, die ich weitergeben möchte an Leute, die schwere Zeiten haben. Und dass diese Menschen wissen, dass man auch durchkommen kann mit und durch Hilfe.

Und was erachten Sie als besonders bedeutsam?

Der andere Grund für das Buch war auch, dass die Wahrheit rauskommt. Ich habe auch jetzt Lebenssituationen, die durch mein beschränktes Sehen entstehen: Ich stürze die Treppe hinunter oder laufe in einen Pfosten und sehe nicht, wenn die Menschen mir die Hand zum Grüssen hinstrecken. Und ich wollte mit dem Buch nur sagen: «Hey Leute, ich bin nicht arrogant und auch nicht besoffen.» Ich renne nicht absichtlich in einen Pfosten. Ich habe einfach Schwierigkeiten zu sehen. Und ich will mit dem Buch allen Menschen danken, die mir geholfen haben und dadurch mitteilen. Und der Inhalt des Buches geht auch zurück bis in meine Kindheit und bis dahin, wo ich jetzt bin.

 

Mein Tiefpunkt war, als ich nach dem Aufwachen meine Tochter nicht sehen konnte. 

Jeff Tomlinson, ehemaliger Trainer des EHC Kloten

 

Bezüglich Ihrer aktuell noch vorhandenen Sehstärke. Können Sie konkret beschreiben, was Sie noch einigermassen gut sehen?

Das ist sehr schwierig zu sagen. Was mir hilft, sind Kontraste. Es gibt Tage, an denen ich das Gefühl habe, ich sehe vielleicht zu 50 Prozent, an anderen Tagen sind es dann aber deren 10. Ich kann es aber nicht genau beziffern. Ich habe blinde Stellen, ich muss meinen Kopf bewegen, um etwas zu sehen. Ich habe ein sehr beschränktes Sehfeld. Und von der Sehschärfe her – die habe ich nicht. Und ich sehe sehr dunkel und milchig. Es ist wie nach dem Duschen, wenn man in den vernebelten Spiegel blickt oder wie wenn man die Augen schliesst, bis es sehr unangenehm ist, umherzulaufen, weil dann ein Abtasten der Umgebung notwendig wird. Ich glaube, so kann man es am besten beschreiben.

Welches war der Zeitpunkt oder der Auslöser, die Sehschwäche nicht mehr zu verstecken? Und was war der berührendste Moment seither für Sie?

Die letzten vier Jahre waren sehr viele Momente, die mir in Erinnerung geblieben sind. Mein Tiefpunkt war, als ich nach dem Aufwachen meine Tochter nicht sehen konnte. In der Nacht war dies, als ich mal aufgewacht bin. Und wegen des Buchs kamen Menschen auf mich zu, denen es genauso geht oder die wegen einer anderen Behinderung sagten, dass sie begeistert davon seien, wie ich damit umginge. Das hat mir auch Kraft gegeben und freute mich emotional. Emotional waren für mich auch die letzten Spiele als Trainer von Rapperswil-Jona, aber auch bei Kloten – und dass die Spieler es danach auch nicht von meiner Sehschwäche in die Öffentlichkeit trugen.

Als Berater von Kloten – wie aktiv können Sie noch sein, mit welchen Anliegen kommen die Spieler zu Ihnen?

Ich rede viel mit Sportchef Ricardo Schödler und dem Staff über verschiedene Themen. Und die Spieler kommen ab und zu auch mal zu mir und fragen beispielsweise, wie man eine Torarmut beenden könne. Oder was für Tipps, wie man aus Situationen rauskommen kann. Ich bin da für die Spieler in einer Mentor-Rolle. Und im Nachwuchsbereich können mich die Trainer immer ansprechen für Fragen und mögliche Lösungsansätze. Wir diskutieren dann. Ich mache auch Vorträge für Sponsoren und Firmen. Das ist momentan meine Tätigkeit.

Wie war die Zusammenarbeit mit Buchautor Kristian Kapp?

Die Zusammenarbeit machte mir sehr viel Spass. Ich lernte viel von ihm. Wir haben auch viel zusammen gelacht. Es war auch sehr emotional für mich, gewisse Geschichten zu erzählen. Wir haben viele Stunden zusammen verbracht – sei dies mit Video-Calls oder persönlich. Kristian  ist ein Experte im Schweizer Eishockey. Wie er meine Story, die ich ihm erzählte, zu Papier gebracht hatte, fand ich auch sehr beinruckend. Ich blicke deshalb mit einem Lächeln im Gesicht auf die Zusammenarbeit zurück.

Die Buchpräsentation zu Klotens erstem Heimspiel gegen die Rapperswil-Jona Lakers – war das eine logische Wahl? Rapperswil-Jona Lakers hatten Sie gegen Kloten in die National League geführt (2018) und dann mit den Lakers gar die Playoff-Halbfinals erreicht (2021), ehe sie zu Kloten wechselten.

Als wir einen Verlag für das Buch gefunden hatten, wurde dies vorgeschlagen. Ich fragte dann auch Kloten, ob dies möglich wäre. Und das wurde komplett unterstützt von Kloten. Natürlich liegen mir beide Klubs am Herzen. Und es war auch ein schöner Abend für mich und nach dem Spiel ein wenig mit den Spielern zu reden und den einen oder anderen auch zu herzen.

Wie beurteilen Sie den Saisonstart von Kloten?

Leider wurden wir von Verletzungen zurückgebunden. Aber ich habe das Gefühl, dass wir einen sehr stabilen Eindruck machen, auch wenn wichtige Spieler wie Tyler Morley oder Ludovic Waeber zuletzt verletzt ausfielen. Es macht aber auch Spass zu wissen, wie junge Spieler reinkommen und was für einen guten Job die machen. Und diese Phase macht uns auch stärker. Ich denke, dass wir ähnlich stabil wie in der Vorsaison sind oder sein können.

Gwunderbrunnen

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