Zurück in die Vergangenheit tanzen

Reto Baer

Die Glattbrugger Jugenddisco Golden Eagle begeisterte in den 1970er- und frühen 80er-Jahren die Teenager der Region. Am 19. Oktober legen ihre ehemaligen DJs noch einmal die Hits von damals auf. Einer von ihnen, der in Kloten aufgewachsene Reto Baer, erinnert sich.

Ich weiss noch genau, wie ich 1976 als sechzehnjähriger Schüler zum ersten Mal im Meer aus Lichtpunkten stand, die eine Spiegelkugel durch den ganzen Raum der Golden Eagle Disco flirren liess. Dazu tauchten UV-Röhren alles, was weiss war, in ein überirdisch strahlendes Violett. Kein Wunder, erbettelte ich schon tags darauf von meinem Vater ein altes weisses Hemd. Ausserdem achtete ich fortan darauf, für die Disco immer auch weisse Socken zu tragen.

In der heutigen Welt aus Reizüberflutungen kann ein junger Mensch wahrscheinlich gar nicht mehr nachvollziehen, wie überwältigend eine simple Lichtorgel auf uns Jugendliche im Analogzeitalter gewirkt hatte. Und damals pulsierte die Lichtorgel noch nicht nach einem Computerprogramm, sondern reagierte tatsächlich auf den Rhythmus der Musik.

Ronnie Derichsweiler, ehemaliger Golden-Eagle-DJ, hat für den Revival-Abend am 19. Oktober die Original-Lichtorgel nachgebaut. Der 61-Jährige ist der eigentliche Initiant des vorerst einmaligen Anlasses. Seit Monaten arbeitet er unermüdlich, hat freiwillige Helferinnen und ­Helfer zusammengetrommelt, eine Facebook-Gruppe gegründet sowie Plakat und Flyer mit dem Original-Logo gestaltet.

Mit seiner Begeisterung hat der Glattbrugger nicht nur drei weitere Ex-DJs angesteckt, die neben ihm auflegen werden, sondern auch Thomas Lichtleitner, Diakon und Co-Gemeindeleiter, der gerne grünes Licht gab, damit die Retro-Party am ursprünglichen Ort stattfinden kann: im katholischen Kirchenzentrum Glattbrugg. Auch Hauswart Eddy Vasquez hilft dankenswerterweise, wo er kann.

Vinyl und tropfende Decke

«Die Golden Eagle Disco erinnert mich an eine unvergessliche und glückliche Zeit», erzählt Derichsweiler. «In zahlreichen Gesprächen wurde mir klar, dass es vielen anderen ebenso ergeht. Deshalb kam mir die Idee zum Revival.» In den besten Zeiten verkaufte die Disco 500 Billette pro Abend. Viel zu viele eigentlich. «Ich weiss noch, wie immer wieder das Kondenswasser von der Decke tropfte», meint Derichsweiler.

Der OK-Präsident legt Wert darauf, dass wir DJs wie damals nur Vinyl-Singles und LPs auflegen. Es werden also keine CDs oder MP3-Dateien zu hören sein. Zudem werden die neusten Songs von 1983 stammen, weil danach die Ära der Golden Eagle Disco zu Ende ging. Derichsweiler ist Inhaber der Firma Acustronics und stattet alle möglichen Events mit Licht- und Tonanlagen aus. Deshalb darf man sich auf eine professionell organisierte Revival-Party freuen. Natürlich wird es an der Bar im Gegensatz zu damals auch alkoholische Getränke geben. Und draussen werden schon ab 17 Uhr Würste auf dem Grill brutzeln. Türöffnung zur Disco ist um 19 Uhr.

Alles ausser Schlager und Ländler

Wer in den 1970er- und 80er-Jahren jung war, weiss, dass damalige Tanzlokale noch nicht auf eine bestimmte Musikrichtung festgelegt waren, sondern alles spielten, solange es keine Schlager und Ländler waren. Rock, Pop, Funk, Disco Sound, Reggae und Soul in einer Lautstärke zu hören, die bei mir zu Hause nicht erlaubt war, kam einer Offenbarung gleich. Den Bass im Bauch spüren – einfach grossartig.

Als ich 1976 ins Discoteam eintrat, half ich an der Kasse (Eintritt 5 Franken) oder der alkoholfreien Bar (ein Becher 50 Rappen). Nach Veranstaltungsende um Mitternacht musste ich auch beim Putzen und Abräumen der Anlage mit anpacken. Trotzdem blieb mir während des Abends genug Zeit, zwischendurch auch mal selbst zu tanzen. Und Mädchen kennen zu lernen. Denn im Golden Eagle liefen auch – ganz wichtig! – langsame Songs. Schliesslich wollten wir Teenager einander näher kommen. Zu Santanas «Samba Pa Ti» oder Pink Floyds «Brain Damage» zum Beispiel.

Nach rund zwei Monaten durfte ich das erste Mal selbst auflegen und war von der ersten Sekunde an begeistert. Wie man als DJ die Menschenmenge im Saal in den Fluss der Musik lenken konnte, faszinierte mich. Ausserdem merkte ich, dass mich diese neue Aufgabe bei den Mädchen interessanter machte. Ich will das gar nicht verschweigen. Gleichzeitig möchte ich klarstellen, dass wir DJs damals weder gemixt noch gescratcht haben. Wir sorgten einfach für fliessende Übergänge zwischen den Songs. Und eine Viertelstunde vor Mitternacht nahmen wir das Mikrofon zur Hand und baten die Anwesenden, beim Heimgehen die Töffli nicht zu laut aufheulen zu lassen. Schliesslich waren wir auf den Goodwill der Nachbarschaft angewiesen.

Pfarrer Arnold Huber, der unser Disco-Team gründete und leitete, legte verständlicherweise Wert darauf, dass die Samstagabende möglichst katastrophenfrei über die Bühne gingen. Ich habe mit dem ehemaligen DJ-Kollegen Daniel Greiner schon oft darüber gesprochen, dass wir dem katholischen Priester, der 2018 kurz vor seinem 83. Geburtstag verstarb, viel zu verdanken haben. Denn er hat uns zu einer Zeit, als das Unterhaltungsangebot für Teenager noch dürftig war, einen Ort geboten, wo wir unvergessliche Erlebnisse haben konnten.

Rockfestivals auf Klotener Eisbahn

Zweimal organisierte das Golden-Eagle-Team zusammen mit dem Konzertveranstalter Free & Virgin sogar ein Rock-Festival. Es fand in den Sommern von 1976 und 1977 auf der Eisbahn in Kloten statt. Polo Hofers erste Band Rumpelstilz trat ebenso auf wie die Hardrock-Gruppe Krokus kurz vor ihrem grossen Durchbruch. Um ein Haar wäre sogar Blondie aus New York nach Kloten gekommen, gab dann jedoch einem Auftritt in einer ZDF-Sendung den Vorzug. Seufz!

Übrigens, damit dies auch noch gesagt sei: Golden Eagle bedeutet Steinadler. Eine stilisierte Silhouette des Greifvogels bildete das Logo der Disco. Wer weiss, vielleicht prangt es bald auch als Stempelabdruck auf Ihrem Handgelenk. Denn selbstverständlich sind nicht nur ehemalige, sondern auch neue Gäste am Revival-Abend willkommen. Alle, die gern zur Musik der 1960er-, 70er- und 80er-Jahre tanzen. Born to Be Wild. Oder wie es im Disco-Zeitalter etwas moderater hiess: «Born to Be Alive».

 

Golden-Eagle-Klassiker

 

Billy Cobham: «Crosswind» (1974)

«Dieser Jazzrock-Titel lief nur bei uns. Ich habe ihn nie in einer anderen Disco gehört. Wer das Lied bloss von der TV-Sendung ‹Rundschau› kannte, merkte gar nicht, wie gut man dazu tanzen kann.»

Daniel Greiner, DJ

 

The Jimmy Castor Buch: «Bertha Butt Boogie» (1974)

«Der Song ist von der ersten Sekunde an unverwechselbar. Das mit tiefer Stimme gesungene ‹Bum, Bum, Buba, Dum› sorgt für einen geilen Funky-Groove.» Ronnie Derichsweiler,

DJ und OK-Präsident

 

Showaddywaddy: «Under the Moon of Love» (1976)

«… wenn ich sorglos und aufgestellt war. Bostons ‹More Than a Feeling› (1976), wenn ich aufgewühlt war. ‹Take It to the Limit› (1975) von den Eagles, wenn ich verliebt war. Musik, Zusammensein und Tanzen waren Ausdruck unserer Gefühle.»

Janine Meyer, OK-Mitglied

 

J. Geils Band: «Pack Fair and Square/Whammer Jammer» (1972)

«Wir liessen diese zwei kurzen und ultraschnellen Bluesrock-Songs vom Live-Album Full House immer im Doppelpack laufen. Oft erst kurz vor Mitternacht, damit die Tanzenden noch einmal so richtig die Sau rauslassen konnten.»

Reto Baer, DJ

 

Uriah Heep: «Lady in Black» (1971)

«Die Golden Eagle Disco war ein Ort, wo man einem Mädchen näher kommen konnte, ohne dass einem gleich ein Lehrer auf die Finger klopfte. Zu ‹Lady in Black› zum Beispiel. Ich finde den Song noch heute stark.»

Mike Frei, OK-Mitglied 

Disco, Film und wieder Disco

Reto Baer, Jahrgang 1960, wuchs in Kloten auf und arbeitete als Kulturjournalist, zuletzt als Filmkritiker für Radio SRF 3, Fernsehen SRF 1 und SRF Kultur online. Heute ist er Schriftsteller. In seinem soeben erschienenen Roman «Zauberpilze» kommt die Golden Eagle Disco auch vor.

Golden Eagle Disco Revival: Sa, 19. Okt, Grill/Bar ab 17 Uhr, Party 19 bis 1 Uhr; Zentrum St. Anna, Wallisellerstr. 20. Mehr auf Facebook.