Sieht so die Stadt der Zukunft aus?

Tobias Stepinski

Shenzhen war vor wenigen Jahrzehnten noch ein Reisdorf. Heute gilt die Millionenmetropole als Silicon Valley Chinas. Leise Strassen, elektrische Busse, Lieferdrohnen und erste Flugtaxis gehören vielerorts bereits zum Alltag. Eine Reportage aus einer Stadt, die sich in rasantem Tempo verändert.

Wer an einer stark befahrenen Strasse im Zentrum von Shenzhen steht, merkt etwas, das man in einer Millionenmetropole kaum erwarten würde: Es ist erstaunlich leise. Statt des üblichen Motorenlärms liegt ein gedämpftes Surren in der Luft. Am lautesten sind dabei die hupenden E-Roller, die in grosser Zahl vorbeiziehen. Der Grund für die Ruhe: Der Grossteil des Verkehrs fährt elektrisch. Eine Beobachtung, die gut ins Gesamtbild einer Stadt passt, die als Silicon Valley von China gilt.

Vom Reisdorf zur Megastadt

Noch im letzten Jahrhundert hätte niemand vermutet, was aus Shenzhen einmal werden würde. Der Name der Stadt taucht erstmals 1410 während der Ming-Dynastie auf. Damals war die Region geprägt von Dörfern, Reisfeldern und den tief eingeschnittenen Entwässerungsgräben, den «zhen», die dem heutigen Namen ihren Ursprung gaben.

Bis in die 1970er-Jahre lebten im damaligen Landkreis Bao’an nur wenige zehntausend Menschen. 1979 beschlossen die chinesischen Behörden, Bao’an in eine Stadt umzuwandeln. Ein Jahr später wurde Shenzhen zur ersten Sonderwirtschaftszone des Landes erklärt. Politisch begleitet wurde dieser Wandel auch von Xi Zhongxun, dem Vater des heutigen Staatschefs Xi Jinping, der damals Parteichef der Provinz Guangdong war.

Aus dem einstigen Randgebiet entstand in wenigen Jahrzehnten ein Wirtschaftsraum, in dem heute – je nach Quelle – zwischen 17 und über 20 Millionen Menschen leben. Shenzhen ist Teil der Greater Bay Area, zu der auch die Sonderverwaltungszonen Hongkong und Macau gehören. Macau, einst portugiesische Kolonie, ist heute das asiatisches Zentrum der Casinoindustrie. Der gesamte Ballungsraum zählt knapp 90 Millionen Einwohner.

Eine Skyline im Rekordtempo

Die Stadt wächst nicht nur bevölkerungsmässig rasant, sondern auch in die Höhe. Shenzhen zählt über 415 Wolkenkratzer. Nach Daten von «Statista» aus dem Jahr 2025 verfügt die Stadt zudem über 163 Gebäude, die höher als 200 Meter sind – deutlich mehr als jede andere Metropole weltweit. Dahinter folgen Dubai mit 127 solchen Gebäuden, New York mit 98 und Hongkong mit 97. Viele der Hochhäuser konzentrieren sich in den Bezirken Futian und Nanshan. Der höchste Bau der Stadt, das Ping An Finance Center, ragt 599 Meter in den Himmel und ist das fünfthöchste Gebäude der Welt.

Elektromobilität mit einem Aber

Shenzhen nahm früh eine Vorreiterrolle in der Elektromobilität ein. Seit 2017 fahren alle über 16 000 Busse der Stadt elektrisch; laut «Deutschlandfunk» war Shenzhen damit die erste Millionenstadt der Welt mit einer vollständig elektrischen Busflotte. Dazu kommen über 20 000 E-Taxis und zehntausende elektrisch betriebene Roller. Auch im Privatverkehr prägen die grünen Nummernschilder das Stadtbild — stehen in China für Elektroautos.

Ein Unternehmen steht sinnbildlich für diesen Aufstieg: der lokale Hersteller «BYD» mit Hauptsitz in Shenzhen. Er profitierte besonders von der frühen Elektrifizierungsstrategie und zählt heute zu den weltweit führenden E-Auto-Produzenten. Ab Mitte der 2010er-Jahre bestellte die Stadt tausende Elektrobusse, was dem Unternehmen laut «Spiegel» planbare Abnahmemengen und sinkende Produktionskosten verschaffte. Gleichzeitig diente Shenzhen «BYD» als riesiges Testfeld: Die Fahrzeuge liefen täglich im dichten Stadtverkehr und konnten so unter realen Bedingungen weiterentwickelt werden. Subventionen für Fahrzeuge und Batterien verstärkten diesen Vorsprung zusätzlich. Möglich wurde der schnelle Wandel auch durch günstige Strompreise und rund 60 000 Ladepunkte in der Stadt. Landesweit soll der Ausbau weitergehen: Laut einem Aktionsplan der Reformkommission NDRC sollen bis 2027 etwa 28 Millionen öffentliche Ladepunkte entstehen. Zum Vergleich: In Europa führen die Niederlande laut dem «European Alternative Fuels Observatory» mit rund 183 000 öffentlich zugänglichen Ladepunkten; die Schweiz kommt auf etwa 16 000.

Doch der Fortschritt hat einen Haken: Trotz massivem Ausbau erneuerbarer Energien stammt weiterhin ein grosser Teil des chinesischen Stroms aus Kohle. Sonne und Wind decken nur rund ein Viertel des Verbrauchs, während etwa 60 Prozent aus Kohlekraftwerken kommen.

Drohnenlieferungen bereits Alltag

Neben Bussen und Rollern verändert auch der Luftraum den Alltag der Stadt. Shenzhen bezeichnet sich selbst als «Drohnen-Hauptstadt», nicht zuletzt, weil der Hersteller «DJI» schätzungsweise 70 Prozent des globalen Marktes dominiert. In Parks bestellen Besuchende Getränke per App, die kurze Zeit später von einer surrenden Drohne abgesetzt werden – inzwischen ein gewohntes Bild. Lieferdienste wie Meituan haben in der Stadt bereits über 100 000 solcher Drohnenlieferungen durchgeführt. Laut dem «Spiegel» wurden 2023 landesweit mehr als eine halbe Million Pakete per Drohne transportiert.

Taxis nicht nur am Boden

Auch Flugtaxis rücken näher an den Alltag heran. Die chinesische Luftfahrtbehörde hat dem Hersteller «EHang» Zertifikate erteilt, die autonome, elektrisch angetriebene Passagierdrohnen grundsätzlich zulassen. Vorerst jedoch nur auf kurzen, festgelegten Routen. Das Modell EH216, ein zweisitziges Lufttaxi ohne Pilot an Bord, erreicht laut Hersteller rund 130 Stundenkilometer und ist für Strecken bis etwa 30 Kilometer ausgelegt. In mehreren Städten, darunter auch Shenzhen, entstehen derzeit entsprechende Start- und Landeplätze. Wann die Flugtaxis allerdings tatsächlich in den regulären Stadtverkehr integriert werden, ist offen. Bislang sind vor allem Demonstrationsflüge und kurze touristische Strecken möglich. Von einem dichten Netz ist Shenzhen also weit entfernt, aber näher dran als überall sonst auf der Welt.

Gwunderbrunnen

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