«Regeln, die man nicht erklären kann, sollte man überdenken»

Roger Suter

Unser Leben ist voller Regeln und unsichtbarer Grenzen. Das Konfliktpotenzial ist entsprechend gross. Elternbildnerin Maya Risch erklärte an einem Elternbildungsanlass im Glattpark, wie man damit umgehen könnte.

 

«Niemand hat wirklich gelernt, wie Elternsein geht.» Allein dieser Satz löst eine Art kollektives Aufatmen im Saal aus. Und die rund 60 erschienenen Eltern – etwa zwei Drittel aus dem Glattpark, ein Drittel aus anderen Opfiker Quartieren – erfuhren an diesem zweiten Elternbildungsanlass des Elternforums Glattpark noch so einiges, was ihnen das Verhalten ihrer Kinder erklärt und möglicherweise den Alltag etwas erleichtert.

Referentin Maya Risch wohnt unweit des Glattparks in Oerlikon, ist Elternbildnerin und arbeitet als solche in Kindertagesstätten, -gärten und Schulen, berät Eltern, Lehrpersonen und andere Interessierte. Sie ist selber Mutter zweier Söhne, 17 und 20 Jahre alt. Ihre pädagogische Grundhaltung verortete Maya Risch zwischen «demokratischer Erziehung» in der Mitte dieser Skala und dem Laissez-faire-Prinzip. Auf der anderen Seite steht die Autorität, welche sie selber erlebt hat, der sie aber nichts abgewinnen kann.

Sie orientiert sich vielmehr am Ansatz des dänischen Familientherapeuten Jesper Juul (1948–2019), wonach Konflikte in der Familie nicht per se negativ, sondern auch Lernfelder sind, um damit umzugehen. Und er hielt fest, dass Kinder keine Grenzen im erzieherischen Sinn brauchen, sondern Beziehungen und Kontakt: Grenzen entstünden dort, wo die Bedürfnisse, Wünsche und Verantwortungen der Erwachsenen klar sind. Entsprechend müssten Grenzen stets persönlich sein und keine Machtinstrumente, um Kinder zu kontrollieren.

 

«Wichtig ist, nicht zu viele Regeln aufzustellen. Für Kinder sind sie nicht einhaltbar und für Eltern sehr ermüdend.»

 

Maya Risch umschrieb es so: «Erziehung ist Beziehung» – und zwar auf Augenhöhe. «Wir müssen unseren Kindern Grenzen setzen», ist sie überzeugt. «Sie geben Rahmen und Orientierung, um etwa das Familienleben zu gestalten.»

Umgekehrt haben auch Kinder ihre Grenzen, welche die Erwachsenen respektieren sollten. Entscheidend sei deshalb, dass man die Grenzen der anderen kenne und die eigenen kommuniziere. Andernfalls drohe Erschöpfung, was auch in ungerechtfertigte Vorwürfe an die Kinder münden könne.

Maya Risch definierte auch verschiedene Arten von Grenzen: die generellen Verbote und Regeln wie Jacke aufhängen oder aufräumen, die alle gleichermassen beachten (sollten). Wenn man sie immer wieder übt, würden sie zur Gewohnheit und nicht mehr negativ empfunden. Ausserdem schade es nicht, sie hin und wieder zu überdenken: «Unsere Regel, dass nur am Tisch gegessen wird, war so eine», erzählt Maya Risch aus ihrem Familien­alltag. «Regeln, die man nicht erklären kann, sollte man überdenken.»

Dann gibt es noch die persönlichen Grenzen jedes Einzelnen, die sich von Tag zu Tag oder mit den Jahren auch ändern können. «Manchmal ist für die Eltern ein Topfmusik-Konzert in der Küche ok, manchmal im Kinderzimmer und manchmal gar nicht.»

Auch bei Regeln braucht es Pausen

Natürlich kommt dabei schnell die Frage nach dem «Wie viel». Maya Risch, die sich auf der Skala von «autoritär» bis «laissez-faire» zwischen Letzterem und «demokratischer Erziehung» in der Mitte verortet, plädiert für «so viel Freiraum, wie das Kind schon bewältigen kann». Denn je jünger das Kind, desto mehr braucht es Rituale und Struktur – also auch eine Art Regeln, die ihm Halt geben.

Je besser es sich aber fortbewegen kann, desto mehr Freiheiten braucht es – auch um hinzufallen und zu lernen, wieder aufzustehen, also eigene Erfahrungen zu machen. «Das Kind braucht aber auch später liebevolle Führung und das Vorausdenken der Eltern, denn es lebt noch im Moment und hat noch kein Verständnis für Folgen.» Von Bedeutung sei, dass Eltern liebevolle, aber klare Anweisungen gäben, dabei aber Raum lassen für Gefühle. «Wichtig ist zudem, nicht zu viele Regeln aufzustellen», findet Maya Risch. «Für Kinder sind sie nicht einhaltbar und für Eltern sehr ermüdend.» Manchmal bräuchten Kinder auch einfach mal «Kooperationspausen», so dass eine Jacke liegen- oder Schuhe mitten im Flur stehen bleiben. Nach einer Weile – oder nach ­einem späteren Hinweis würden diese Regeln aber wieder anstandslos befolgt.

Das «Täubelen» aushalten

Entscheidend findet Risch auch, zwischen Bedürfnissen und Wünschen der Kinder zu unterscheiden. Jesper Juul formulierte es so: «Kinder wissen oft sehr genau, was sie wollen, aber nicht, was sie brauchen.»

Erhält das Kind auf einen geäusserten Wunsch ein Ja, erwidert es ein Lächeln; bei einem Nein folgt oft ein Kampf. «Dabei ist wichtig: Er richtet sich nicht gegen die Eltern, sondern soll ein Ja bewirken», so Maya Risch. Damit im Hinterkopf lassen sich die folgenden, notwendigen Auseinandersetzungen leichter aushalten. Kleine Kinder «täubelen», grössere kämpfen mit Worten und Argumenten. Bleibt es beim begründeten Nein (und das sollte es), folgt möglicherweise Weinen, dann Akzeptanz und schliesslich die Beruhigung.

 

«Wir sollten ein Nein zwar erklären, aber nicht auf das Einverständnis der Kinder hoffen.»

 

Solche «gesunden Konflikte» können sich durchaus mehrmals täglich zutragen. Dennoch sollte man sich nicht zu schnellen Antworten – einem «Nein» aus Prinzip oder einem «Also gut» aus Angst vor einer weiteren Auseinandersetzung   – begnügen. Und deshalb gleich noch ein Satz, der hilft: «Wir sollten ein Nein zwar erklären, aber nicht auf das Einverständnis hoffen.»

Wie man Grenzen setzt

Wie aber setzt man Grenzen? Soll man einem Nein mit dem Androhen einer Strafe Nachdruck verleihen? Maya Risch schüttelt den Kopf: «Das prägt negativ und ist schmerzhaft.» Sollte man stattdessen das ausgesprochene Nein und damit den Konflikt vermeiden? Nützt auch nichts, findet Risch: «Unsere Mimik und Tonlage verraten uns sowieso.» Sie empfiehlt Variante 3, ein klares Nein, dabei respektvoll zu bleiben und die Reaktion des Kindes aushalten und zulassen. «Das funktioniert, die Grenzen wirken und das Kind wird nicht verletzt.»

Im letzten Teil erörterte Maya Risch die Frage, warum Kinder überhaupt Regeln verletzen und Grenzen überschreiten. «Sie tun es nicht, um Eltern zu ärgern», ist Risch überzeugt. Gemäss Jesper Juul suchen sie damit Kontakt, wollen die Erwachsenen kennenlernen. Und:  «Kinder sind langsamer, es ist also viel Geduld nötig», ergänzt Risch. Gerade in Stresssituationen verengt sich aber unser Blick über Gebühr; dabei ist es kein Weltuntergang, wenn das Kind mal zu spät in die Schule kommt. Ausserdem würden sie vieles auch einfach vergessen.

Ein Patentrezept hat auch Risch nicht, aber einen weiteren Ratschlag: «Das Kind soll nicht die Strafe ernst nehmen, sondern die Eltern.» Und diese gingen – durchaus berechtigt – mit der Überzeugung nach Hause, an diesem Abend etwas bessere Eltern geworden zu sein.

Buchtipps: Usborne (2009): Gefühle. Gisela Braun, Dorothee Wolters (2021): Das grosse und das kleine Nein. Jesper Juul (2009): Grenzen, Nähe, Respekt.

https://mayarisch.ch

 

Gwunderbrunnen

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