Liebe auf den zweiten Blick

Daria Semenova

In den Brockis warten kleine Schätze, kuriose Funde und ein Duft von Geschichte. Hier trifft Stöbern auf soziale Verantwortung, Nachhaltigkeit und Begegnungen, und manchmal verliebt man sich auf den zweiten Blick in einen alten Schrank, ein Kleidungsstück oder ein Relikt aus alten Tagen.

Blaukreuz-Brocki Dübendorf: Schätze und Kuriositäten

Aufbereitete saisonale Kleidung trifft Herbststimmung: Beim Betreten fallen sofort die warmen Farben und Oktoberfest-Motive im Eingangsbereich ins Auge. Regale voller Haushaltsgeräte, Möbel und Sportartikel flankieren den Raum, doch besonders zieht die Bibliothek mit ihren sorgfältig sortierten Büchern alle Blicke auf sich.

Renato, pensioniert, arbeitet ehrenamtlich drei Tage in der Woche, sortiert ganze Paletten Bücher und findet es «spannend, was man so alles verkaufen kann». Thomas sorgt seit 13 Jahren für einen lebendigen Austausch mit Kundinnen und Kunden. «Ich mag es, mich auf Neues einzulassen», sagt er, während er von einem besonderen Fund berichtet: «Bei einer Hausräumung haben wir einmal eine Handgranate gefunden. Die ging direkt zur Polizei.»

Stammkundschaft und kleine Abenteuer

Ursi, ebenfalls pensioniert, arbeitet seit fast 10 Jahren freiwillig mittwochs, um Struktur im Alltag zu haben. Sie kennt den Kontakt mit Menschen noch aus 30 Jahren Kioskarbeit und geniesst die Wiedersehensfreude der Stammkundschaft. Ruth und Irene kommen regelmässig vorbei: «Anstatt ins teure Kaufhaus zu gehen, wollen wir hier unseren Kaufwillen stillen.» Das Brocki bietet den perfekten Ort für kleine Abenteuer: Ein ausgefallenes Kleidungsstück, das man sonst nicht kaufen würde, lockt zum spontanen und preiswerten Kauf.

Claudine, die freiwillig im Brocki ­Bülach arbeitet und aus der Umgebung anreist, um mobil zu bleiben, sortiert ­regelmässig Postkarten und entdeckt dabei Grüsse, die einst Teil persönlicher Geschichten waren. «Es ist gut, sich auch im Alter noch sinnstiftend zu beschäftigen», sagt sie.

Die Brockis werden vom Blauen Kreuz Zürich betrieben. Die Einnahmen der Brockis leisten einen wichtigen Beitrag zur Finanzierung und Aufrechterhaltung der Beratungs-, Präventions- und Integrationsangebote. Mauro Garzi, Bereichs­leiter für Bülach und Dübendorf, erklärt: «Ohne die Brockis wären unsere Angebote für hilfesuchende Menschen bei ­Alkohol- und weiteren Suchtfragen in dieser Form nicht möglich.» Die Brockis Bülach und Dübendorf bieten zudem niederschwellige Tagesstrukturplätze an, das Blaukreuz-Brocki Winterthur sogar ein weiterführendes Angebot im Bereich der sozialen und beruflichen Integration.

Die Waren sollten eine gewisse Qualität haben, damit sich die Aufbereitung lohnt. Diese ist schwieriger geworden, weil die Qualität teilweise stark gelitten hat, beispielsweise bei Kleidern. Die Logistik einer Brocki ist zudem aufwendig. Die Ware soll möglichst rasch in den Verkauf gelangen, damit laufend ein attraktives Sortiment angeboten werden kann. Trotzdem bleiben gut gemachte Brockenhäuser attraktiv, auch für Kundinnen und Kunden, die Wert auf Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft und einmalige Stücke legen.

Kuratierte Brockenhäuser nähern sich heute nicht nur optisch einem Kaufhaus an, mit schön präsentierten Waren und ansprechendem Layout. In weniger strukturierten Brockis müssen Besucherinnen und Besucher den Gegenständen selbst einen Sinn geben; sie werden nicht auf Mannequins präsentiert. Beide Formen erfüllen unterschiedliche Bedürfnisse und bieten Menschen mit niedrigem Einkommen die Möglichkeit, günstig einzukaufen.

Glattbrugg: Integration und Wiederverwendung

In Glattbrugg herrscht ein etwas anderer Rhythmus. Das Sammelsurium-Brocki ist weniger kuratiert, manchmal muss man wühlen – das macht seinen Charme aus. Kinderartikel sind reichlich vorhanden, die Preise niedrig. «Hier geht es weniger um Umsatz, sondern darum, erwerbslosen Menschen wieder Arbeit zu ermöglichen», erklärt Eva, Sozialpädagogin und Springerin der Plattform Glatttal, einem Verein für soziale Angebote.

Dessen Angebot namens «Pischte», am Flughafen gelegen, ist zuständig für Räumungen, Transporte und Entsorgungen. Gut gebrauchbare Sachen werden im Brocki verkauft. Eva: «Es ist schade, dass viele schöne Dinge einfach entsorgt werden. Umso schöner, dass wir dafür sorgen können, dass eine andere Person sich noch daran erfreuen kann.» Wenn die Arbeitsintegration gut verläuft, können die Teilnehmenden später in einem anderen Betrieb fest angestellt werden. Niederschwellige Tagesstrukturplätze ermöglichen es auch Menschen ohne konkrete Berufsperspektive, wieder in eine Routine zurückzufinden oder Deutsch zu lernen.

Beim Brocki-Stöbern wird man freundlich unterstützt – wenn man etwa mit ­einer Kamera unterwegs ist, werden Objektive sofort angeboten. Weniger geordnet, aber mit warmer Gemeinschafts­atmosphäre – so erlebt man das Sammelsurium-Brocki anders.

Emmaus Zürich: Kuratierte Schätze mit Verantwortung

Emmaus in Zürich wirkt fast wie eine Schatzinsel. Alles ist ästhetisch arrangiert: Vitrinen mit Schmuck, ausgewählte Accessoires, sorgfältig präsentierte Kleidung. An der Kasse entsteht ein Gespräch über den Reissverschluss eines Mantels. Eine Kundin bestärkt eine andere und findet, dass der schräg angebrachte Reissverschluss zum Stil gehört und die grüne Farbe wunderbar zu ihren Augen passe. Hier mischt sich stilvoller Vintage-Charme mit sozialer Verantwortung.

Emmaus ist politisch und konfessionell unabhängig. Erlöse fliessen vollständig in lokale und internationale Hilfsprojekte. IV-berechtigte Personen erhalten Integrationsplätze. Ziel ist, möglichst viel Material wieder in Umlauf zu bringen und Ressourcen nachhaltig zu nutzen.

Ob in Zürich, Dübendorf, Bülach oder Glattbrugg: Die Brockenhäuser verbinden Stöbern mit sozialem Engagement. Kundinnen sind Junge oder Alte, Familien auf Budgetsuche oder Liebhaberinnen alter Möbel und Bücher. Die Herausforderung bleibt, sich gegenüber günstigen Online-Angeboten und Fast-Fashion-Ketten zu behaupten. Gut geführte Brockenhäuser haben eine Zukunft, weil sie soziale Arbeit, Kreislaufwirtschaft und Einkaufserlebnis auf einmal bieten und Begegnungen eine Erzählung wert sind.

Vom Bilderrahmen bis zu Kabeln – im Sammelsurium gibt es praktisch alles zu entdecken. Bilder Daria Semenova

Im Blaukreuz-Brocki Bülach gibt es viel Musik zum Hören, geordnet nach Genre.

Ahmed sortiert  im Sammelsurium die Kleidung und sorgt dafür, dass alles übersichtlich bleibt.

Im Blaukreuz-Brocki Dübendorf kommen Musizierende auf ihre Kosten.