Demokratie

Warum wollen wir geliebt werden? Und sollen wir das überhaupt wollen? Und wenn ja, zu welchem Preis? Unser Philosoph macht sich so seine Gedanken.

Es gehört zu unserer Natur, dass wir von den Menschen, die uns kennen, geliebt oder wenigstens gemocht werden wollen. Eigentlich könnten wir auch schon zufrieden sein, wenn wir wenigstens geachtet werden. Dass wir für den Grossteil der Mitmenschen, die wir und die uns nicht kennen, gar nicht existent sind, das ist selbstverständlich und stört uns nicht.

Wenn aber jemand, wie beispielsweise der Herr Putin, uns im Westen, also nicht nur die Politiker, sondern jeden von uns zum Feind erklärt, dann ärgert mich das und macht mich nachdenklich.

Man kann sich fragen, warum tut er sich das an? Er bringt nicht nur sich, sondern auch sein ganzes Volk in Misskredit – ­wenigstens hier im Westen. Warum?

«Vor etwa zweihundert Jahren hat Johann Wolfgang von Goethe schon gewarnt: ‹Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf.›»

Friedjung Jüttner Dr. phil., Psychotherapeut

Unser Standpunkt ist ein anderer, aber von Putin aus gesehen, ist das die falsche Frage; denn er ist überzeugt, seinem Volk einen Dienst zu erweisen. Er hat eine Sendung zu erfüllen, nämlich einen Zustand wiederherzustellen, wie er schon einmal – nach seinem Geschichtsverständnis – war. Er möchte Russland wieder gross machen. (Diese Rede kennen wir auch von einem anderen Machtmenschen.) Und ein Grossteil seines Volkes nimmt ihm das ab. Das hat zum einen mit den ihnen zur Verfügung stehenden einseitigen Informationen zu tun und zum anderen mit unserem archaischen Hang, sich auf Autoritäten zu berufen und sich ihnen anzuvertrauen. Was uns im Westen erstaunt: Putin wird von seinen Landsleuten geachtet und sogar geschätzt. Natürlich gibt es auch kritische Stimmen, die aber sofort (mund)tot gemacht werden. So kann ein ganzes Volk von einem oder einigen wenigen verführt und beherrscht werden. Das gab es ja schon mal im Dritten Reich.

Die Demokratie ist offenbar die einzige, im Moment bekannte und wirksame, politische Anschauung, die den Autokraten entgegentreten kann. Sie vermag eine Diktatur nicht zu verhindern, aber sie kann sie etwas ausbremsen.

«Vor etwa zweihundert Jahren hat Johann Wolfgang von Goethe schon gewarnt: ‹Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf.›»

Friedjung JüttnerDr. phil., Psychotherapeut