Wenn der griechische Salat ins Surreale kippt
Lara Stoll, Preisträgerin des «Salzburger Stiers», eröffnet die neue Saison im Kleintheater Mettlen – mit Virtuosität, Absurdität und einem roten Anzug voller Hupen.
Manche Abende schleichen sich nicht heran – sie setzen sich gleich neben einen. Der vergangene Freitag im Kleintheater Mettlen war so einer. Noch bevor Lara Stoll die Bühne betritt, ist der Saal bereits in Bewegung: ein grosszügiger Raum, grösser, als der Begriff „Kleintheater“ vermuten lässt, und dennoch so zugänglich wie ein Wohnzimmer, das jemand mit Bedacht aufgeräumt hat .
Das Kleintheater Mettlen selbst befindet sich in einer Übergangsphase: Während der heimische Singsaal Mettlen saniert wird, laufen die Vorstellungen provisorisch im Singsaal Lättenwiesen des gleichnamigen Schulhauses. Trotz Umzug ins Provisorium bleibt die Nähe zum Publikum, die Energie und das breite Programm aus Theater, Comedy, Musik und Experimentierfreude unverändert. Das Team freute sich sehr, dass so viele treue Besucherinnen und Besucher dem Provisorium gefolgt sind und zugleich durch neue, junge Gäste bereichert wurden.
Begegnungen wirken vertraut. Ein kurzes Lachen an der Kasse, das später an der Bar wieder auftaucht. Nach der Vorstellung stehen dort jene, die zuvor Tickets verkauft haben; die Leute von der Bar mischen sich unter das Publikum, das nach 75 Minuten Unterhaltung bleibt, um sich nun selbst zu unterhalten. Ein Haus, das nicht trennt, sondern mischt – ideal für eine Künstlerin, die von Zwischenräumen lebt.
Kandinsky an der Salattheke
Lara Stoll beginnt nahe, sehr nahe. In ihrem Kapitel „Salat“ seziert sie das Gemüse nicht kulinarisch, sondern wie eine Komposition. „Ein griechischer Salat sieht eigentlich aus wie ein Gemälde von Kandinsky“, sagt sie. Noch bevor das Publikum klärt, ob Kandinsky Impressionist oder Expressionist war (Letzteres), steht Stoll in der Erzählung bereits an der Migros-Kasse, hinter ihr eine langsam ungeduldige Schlange. Sie hat zu lange über die Ästhetik der Salattheke nachgedacht. Zu präzise, zu lange, zu tief. Dieses leichte Kippen des Alltäglichen in etwas Eigenwilliges – und wieder zurück in eine sehr schweizerische Szene – ist Lara Stolls Markenzeichen.
«Ich erzähle Dinge, die wirklich passieren könnten», sagt sie später. Und genau das erzeugt die Komik: Sie könnten. Vielleicht sind sie es schon. Der Abend pendelt zwischen Bewegung und Stillstand: Herumlaufen auf der Bühne, das Wechseln der Instrumente, dann wieder die auf Hochdeutsch gelesenen Texte am Tisch – Relikte ihrer Slam-Poetry-Jahre, die im Rhythmus durchschimmern.
Einer der offensten Momente: Stoll erzählt von ihrer Probeshow in Rorschach. Verkauft wurde genau ein Billett. Ein Mensch im Publikum. Eine Gage, die genauso schmal ausfiel wie dieser Abend besetzt war. Sie schildert es ohne Wehmut. Stattdessen zeichnet sie mit wenigen Strichen ein Bild von Rorschach: eine Stadt, in der irgendwann die Betrunkenen aus der Bar nebenan in die Vorstellung hineinstolpern. Beobachtet, nicht bewertet – so präzise, dass es fast dokumentarisch wirkt.
Die Schweiz, der Alltag und die Kunst des Hinschauens
Stolls Themen springen, aber nie ungerichtet. Autofahren, Schlaf, Essgewohnheiten, Millennial-Müdigkeit – Alltagsszenen, die sie so präzise betrachtet, dass sie fremd wirken. Dinge, die man sonst im Vorbeigehen hinnimmt, werden bei ihr zu Miniaturen voller Bedeutung; Schweizer Selbstverständlichkeiten erscheinen plötzlich absurd übertrieben.
«Es bringt ja niemandem etwas, wenn ich eine wilde Knacknacht erzähle. Da können sich zu wenige identifizieren. Aber Essen, Schlaf – das haben wir alle.»
Linear erzählt sie nicht. «Ein schönes Wort dafür ist Virtuosität», sagt sie. Eine Virtuosität, die nicht im grossen Bogen liegt, sondern im präzisen Setzen von Gedanken, die jederzeit umkippen können – wie ein schlecht gestapelter Gurkenturm .
Der rote Anzug voller Hupen
Visuell ist Stoll eine eigene Performance. Der rote Anzug, über und über mit Hupen bestückt, steuert ihre Power-Point-Präsentationen – die einzigen Instrumente, denen sie vertraut. Die übrigen Instrumente spielt sie absichtlich schlecht. «Es hilft manchmal, Instrumente mitzunehmen, auch wenn man sie nicht beherrscht.» Saxofon, Posaune, ein Hauch Selbstsabotage – Töne, die man sonst kaum im Kabarett findet. Die Idee für die Hupen stammt aus einem YouTube-Video. «Konis Hupen», nennt sie sie. Manchmal fallen sie ab. Die Lacher kommen zuverlässig.
Stoll, Salzburger-Stier-Preisträgerin und 2025 für den Swiss Comedy Award Solo nominiert, tritt in Städten wie Dörfern auf – und beides wirkt in ihre Arbeit hinein. „Humor ist etwas sehr Eigenes. Man weiss ja nicht, was die Leute für einen Tag hinter sich hatten.“ Programme für unterschiedliche Zuschauerinnen und Zuschauer zu trennen, interessiert sie nicht. «Ich möchte nicht verschiedene Programme für verschiedene Publika haben. Ich erzähle einfach Dinge, die passieren.» Humor bleibt ein Gemeinschaftsereignis, das sich aus individuellen Reaktionen zusammensetzt. In Wohlen sass sie vor fünfzehn Menschen in einem grossen Saal. «Es hat trotzdem gut gezogen.» In Opfikon waren es mehr – und es zog sehr gut.
Routine, Nervosität – und die Frage nach dem Übergang
Vor einer Show ist Stoll fast immer nervös. Sie kommt nicht zu früh, richtet Technik ein, schminkt sich, streift den roten Anzug über, läuft ein paar Runden. Ein kleines Ritual, das trägt. Wie sie Ideen sammelt? «Ich schreibe alles als Notiz ins Handy. Und bearbeiten tue ich es erst, wenn ich wirklich Zeit habe.» Oft steht sie vor der Entscheidung: «Mache ich jetzt noch einen aufwendigen Übergang? Nein. Jetzt kommt einfach der Salat.»
Ein Abend, der bleibt. Weil er aus Dingen besteht, die passieren könnten – und die, wenn Lara Stoll sie erzählt, kunstvoller wirken als vieles, was man sonst nach Hause trägt.
Am 9. Januar geht's weiter
Als Nächstes im Mettlen: 9. Jan. 2026: Bänz Friedli; 6. Feb. 2026: Müslüm; 6. März 2026: Bettina Dieterle. Kleintheater Mettlen, Singsaal Schulhaus Lättenwiesen, Giebeleichstr. 48. Theater-Bar: ab 18:45 Uhr geöffnet. Preise: Einzeleintritt 35.–, Jahresabonnement (4 Vorstellungen) 130.–
Informationen: www.opfikon.ch/progarch