Wenn auch die Umgebung zur Bühne wird

Dennis Baumann

In nur sechs Tagen entwickelten 17 Kinder und Jugendliche ein Theaterstück. Unter freiem Himmel liefen vergangenes Wochenende die beiden Aufführungen im Spielraum Ara Glatt – auf vier verschiedenen Bühnen.

Wo normalerweise Kinder spielen, entstand vergangenes Wochenende eine Theaterbühne. Die Theaterwerkstatt «Fahr.Werk.ö!» rollte mit drei Traktoren und sechs Wagen nach Opfikon zum Spielraum Ara Glatt, um dort gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen ein Theaterstück zu entwickeln. Speziell daran: Alle lebten während der sechstägigen Produktionszeit gemeinsam vor Ort in den Theaterwagen. «Kein Kommen und Gehen, sondern intensives, gemeinsames Kreieren», erklärt Julian Murer vom vierköpfigen Leitungsteam des «Fahr.Werk.ö!». Rund je 130 Zuschauerinnen und Zuschauer erschienen zu den beiden Theateraufführungen unter freiem Himmel.

«Um 5 ist noch nicht fertig», beschreibt Murer den Alltag im Lager. «Wir essen zusammen, singen zusammen und räumen gemeinsam auf. Dazwischen kommt immer wieder eine neue Idee.» Diese ungewöhnliche Wohnform schafft eine ganz eigene Dynamik. Der 13-jährige Timo Haller aus Zürich-Höngg ist bereits zum vierten Mal dabei: «Ich finde es megacool. Klar, manchmal hockt man aufeinander, das gehört dazu. Aber man gewöhnt sich schnell aneinander.» Für ihn gehören selbst die alltäglichen Pflichten zu den Höhepunkten der Woche: «Beim Abwaschen kommen wir alle zusammen. Währenddessen singen wir und haben einfach Spass.»

Ohne festes Skript

Dennoch: Die Zeit, ein Theaterstück zu entwickeln, ist mit sechs Tagen knapp und kann für alle Beteiligten auch Stress bedeuten. Der kreative Prozess folgt deswegen einem bewährten Schema: Vier Theatergruppen entwickeln parallel verschiedene Szenen, jede begleitet von ­einem professionellen Theaterschaffenden. «Wir haben eine gemeinsame Grundlage als Startpunkt», erklärt Murer. «Die Ideen kommen aber immer von den Kindern. Wir nehmen sie wieder auf, sehen etwas und geben wieder Inputs. Es ist ein Pingpongprinzip.» Auf ein eigentliches Textbuch wird dabei bewusst verzichtet. «Man macht kein klassisches Skript und hat keine festen Vorgaben. Vieles wird improvisiert», sagt Timo Haller.

Was die Kinder und Jugendlichen nach sechs Tagen Brainstorming und Proben kreiert haben, trägt – passend zum Schauplatz – den Namen «Der Teich im Kopf». Oberflächlich betrachtet erzählt es die Geschichte von Roberta, die auf ein Date geht. Doch was das Publikum zu sehen bekam, war Robertas gedankliche Innenwelt, die zwischen Euphorie und Unsicherheit hin und her wechselte. Die Kinder und Jugendlichen spielten und verkörperten dabei die verschiedenen Gedanken und Gefühle, die sich in ihrem Kopf abspielten.

Das Publikum geht mit – physisch

Das Publikum wurde ebenfalls Teil der Aufführung und musste mit Stühlen und Bänken von Szene zu Szene ziehen. Viermal wechselte das Bühnenbild, wobei jedes Mal der komplette Raum genutzt wurde. In der Halle Graffland nutzten die Kinder und Jugendlichen die verschiedenen Ebenen, und draussen auf dem Teich kamen Boot und Floss zum Einsatz.

«Die Umgebung wird in unseren Stücken immer miteinbezogen», erklärt Murer das Konzept. «Da wir mit vier Gruppen proben, machen wir das an verschiedenen Orten. Dadurch stören die Gruppen einander nicht. Zudem ist es immer spannender, verschiedene Bühnenbilder zu haben.»

Kultur für alle

Das «Fahr.Werk.ö!» realisiert jährlich 10 bis 13 solcher Produktionen in der ganzen Deutschschweiz. «Alle können mitmachen. Man braucht weder Theatererfahrung noch ein Casting», betont Murer. Über kostenlose und vergünstigte Plätze wird sichergestellt, dass auch Familien mit knappem Budget teilnehmen können.

Die Idee des «Fahr.Werk.ö!» entstand vor 25 Jahren aus gemeinschaftlichen Gedanken heraus. Die Gründer wollten Theater in der Landschaft machen und hatten mit wenigen Wagen erste Lager organisiert. «Wenn man gemeinsam an einem Ort wohnt und arbeitet, entstehen neue und andere Ideen», erklärt Murer.

Nach den beiden erfolgreichen Aufführungen zieht er ein positives Fazit: «Wir sind sehr zufrieden und konnten vor vollen Rängen spielen. Die Kinder wollten am Ende gar nicht mehr nach Hause.» Nun rollen die Theaterwagen nach einer Woche intensiver Gemeinschaft und kreativer Höchstleistung wieder weiter – auf zum nächsten Ort, wo sie Theater dorthin bringen, wo sonst keines stattfindet!