Rega-CEO Kohler: «Luftrettung kennt keine Kantonsgrenzen»

Tobias Stepinski

Die Rega muss ihren Hauptsitz am Flughafen Zürich bis 2030 räumen. In Kägiswil in Obwalden soll der neue Standort entstehen. Im Interview erklärt Rega-CEO Ernst Kohler, warum er trotz Kritik vom Umzug überzeugt ist und was er von der Politik erwartet.

Metallisches Hämmern hallt durch die Halle im Rega-Center am Flughafen Zürich. Mechaniker sprechen über Ersatzteile, es riecht nach Kerosin. Zwischen Werkzeugkisten und Schläuchen stehen drei rot-weisse Challenger-Jets bereit für ihren nächsten Einsatz. Mehr als tausendmal im Jahr holen sie Patientinnen und Patienten aus aller Welt zurück in die Schweiz. Weiter hinten stehen einige Rettungshelikopter. Sie sind hier im «Service», die Rettungseinsätze werden von den 14 über die ganze Schweiz verteilten Rega-Basen aus geflogen. Insgesamt zwanzig Maschinen, die im vergangenen Jahr knapp 15  000‑mal geflogen sind. Pro Tag transportiert die Organisation durchschnittlich 35 Patientinnen und Patienten. Bis Ende 2026 wird die Rega auf eine Einheitsflotte des Typs Airbus H145 umstellen (siehe  Kasten).

Doch im Jahr 2030 ist Schluss mit dem Hauptsitz am Flughafen Zürich. Die Rega muss weichen, weil ihre Basis einem neuen Rollweg für Passagierflugzeuge im Weg steht. Der neue Hauptsitz soll in Kägiswil im Kanton Obwalden entstehen. Der Entscheid schlug hohe Wellen und stösst vor Ort auf Widerstand (siehe Kasten).

Ernst Kohler, Sie sind leidenschaftlicher Alpinist. Haben Sie als CEO überhaupt noch Zeit für die Berge?

Ja, die nehme ich mir. Für mich sind die Berge der notwendige Ausgleich zum Alltag als CEO. Heute nicht mehr mit Seil und Pickel, sondern beim Voralpinwandern. Zudem unternehmen wir einmal im Jahr mit der Geschäftsleitung die «Operation 4000» auf einen Viertausender. Das gibt mir sehr viel.

Die Rega sucht seit über zehn Jahren nach einem neuen Hauptsitz. Warum dauert dieser Prozess so lange?

Wir suchen nicht seit zehn Jahren, aber wir beschäftigen uns so lang mit dem Thema. Uns war klar, dass wir den Standort Zürich irgendwann verlassen müssen. Dieser Standort ist für uns ideal, aber wir müssen weg aufgrund der geplanten Pistenumrollung. In der Luftfahrt kann man nicht einfach irgendwo ein Grundstück kaufen und einen Heliport bauen. Ein Areal muss bereits im Sachplan Infrastruktur der Luftfahrt eingetragen sein und darüber entscheidet der Bundesrat. Dadurch reduziert sich die Auswahl stark: Es bleiben Militärflugplätze, Landesflughäfen oder gewisse ­zivile Flugplätze. Wir haben verschiedene Optionen geprüft und unsere Fühler ausgestreckt.

 

«Heute gibt es viel mehr rechtliche Hürden und Einsprachen. Projekte dauern länger, brauchen mehr Zeit, Geld und Nerven ».

Ernst Kohler, CEO Rega

 

Warum fiel die Wahl auf den Standort Kägiswil und nicht etwa auf den Flugplatz Dübendorf?

Dübendorf war in der Vergangenheit tatsächlich eine Option. Aber der Bund hat das Umnutzungsverfahren des Militärflugplatzes in ein ziviles Flugfeld gestoppt. Bei der Evaluation von Standorten spielen verschiedene Faktoren eine Rolle: die aviatische Infrastruktur, Platz- und Eigentumsverhältnisse, die Fle­xibilität für betriebliche Abläufe, die ­Vertragsdauer sowie die Höhe von Investitionen und Mietkosten. Als gemeinnützige Stiftung sind wir unseren Gönnerinnen und Gönnern verpflichtet, mit den Mitteln verantwortungsvoll umzugehen. Kägiswil erfüllt diese Kriterien in ­einer Art und Weise, die uns erlaubt, Hauptsitz mit Verwaltung sowie Heli­kopterinstandhaltung für die nächsten Jahrzehnte sicherzustellen.

Vom Zürcher Hauptbahnhof ist man in 20 Minuten in Kloten. Nach Kägiswil dauert die Fahrt über anderthalb Stunden. Wie haben die Mitarbeitenden auf den angekündigten Umzug reagiert?

Die Mitarbeitenden sind unser höchstes Gut. Wir werden mit allen Mitarbeitenden über Lösungen sprechen und werden flexible Arbeitsmodelle, Home­office oder auch Wochenaufenthalte anbieten. Wichtig ist, dass wir eine Lösung haben, die für Generationen trägt. Wir planen nicht für die nächsten 5 Jahre, sondern für die nächsten 75 Jahre.

Befürchten Sie nicht, dass Sie aktuelle Mitarbeitende verlieren?

Ja, das wird es leider sicher geben. Aber ein neuer Standort kann nicht nach den Bedürfnissen einzelner Mitarbeitender festgelegt werden, das darf nicht das einzige Kriterium sein. Es ist ein sehr langfristiger Entscheid und er fällt uns nicht leicht.

Sie sagten einmal, das Ziel sei, «bei jedem Wetter retten» zu können. Wie weit ist die Rega heute bei der Allwettertauglichkeit?

Wir haben grosse Fortschritte gemacht. Heute können wir rund 700 Einsätze pro Jahr nach Instrumentenflugverfahren fliegen. Aber Sicherheit hat oberste Priorität. Wenn Wetterbedingungen wie Vereisung das Risiko zu hoch machen, heben wir nicht ab.

Sie betonen immer wieder, dass Verunfallte nicht verurteilt werden sollen.

Wir retten, wir richten nicht. Wir fragen nicht, wer Fehler gemacht hat. Jeder kann in eine Notlage geraten. Von rund 15 000 Einsätzen pro Jahr sind nur etwa 7 Prozent klassische Bergrettungen – Alltag sind akute Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall, Verlegungen zwischen Spitälern, Verkehrs- oder Arbeitsunfälle.

Im Wallis hat die kantonale Walliser ­Rettungsorganisation die Aufträge an Air Zermatt und Air-Glaciers vergeben, Ihre Beschwerden wurden abgewiesen. Sie ziehen den Entscheid nun ans Bundesgericht weiter. Warum will die Rega unbedingt auch im Wallis fliegen?

Unsere Aufgabe ist es, Menschen in der ganzen Schweiz zu helfen. Luftrettung kennt keine Kantonsgrenzen. Sie als Patient müssen sich darauf verlassen können, dass im Notfall derjenige Helikopter aufgeboten wird, der Sie am schnellsten ­erreicht und helfen kann. Das ist heute leider nicht immer der Fall und dagegen wehren wir uns. Wir tun das, weil die ­Patienten keine «Lobby» haben. Für uns zählt allein der Patient, nicht finanzielle Interessen. Zudem gibt es auch im Wallis Zehntausende Gönnerinnen und Gönner, die auf unsere Leistung vertrauen.

Sie sind gelernter Elektroinstallateur und heute CEO der Rega. Ist eine solche Karriere – vom Handwerker bis an die Spitze – heute noch möglich?

Ich bin überzeugt, dass so ein Werdegang auch heute noch möglich ist. Entscheidend sind Herzblut, Motivation und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Titel und Diplome allein reichen nicht. Wer Freude an seiner Arbeit hat, neugierig bleibt, sich weiterbildet und offen ist für Neues, kann sehr viel erreichen.

Sie sind seit fast 20 Jahren CEO der Rega. Wird man da nicht träge?

Ganz und gar nicht. In dieser Zeit haben wir die Flotte der Rega zweimal grund­legend erneuert – aktuell mit der Ein­führung der Airbus-H145-Helikopter. Die Allwettertauglichkeit haben wir konti­nuierlich gesteigert, die Organisation in eine moderne Struktur überführt und die Zahl unserer Gönnerinnen und Gönner ist in den letzten 25 Jahren um rund eine Million gestiegen. All das zeigt, dass wir alles andere als träge sind.

Was hat sich im Rettungswesen in den letzten Jahren verändert?

Es ist schwieriger geworden. Früher konnte man mit einem Handschlag etwas abmachen und umsetzen. Heute gibt es viel mehr rechtliche Hürden und Einsprachen. Projekte dauern länger, brauchen mehr Zeit, Geld und Nerven. Die Rega erfüllt als private, gemeinnützige Stiftung eine Aufgabe, die in vielen anderen Ländern der Staat wahrnimmt. Da könnte man erwarten, dass wir bei der Erfüllung dieser Aufgabe unterstützt werden, was leider immer weniger der Fall ist.

Obwohl die Rega auch viele öffentliche Aufgaben übernimmt?

Ja, während der Pandemie haben wir als nationale Koordinationsstelle die Auslastung der Intensivbetten in der Schweiz organisiert, Corona-Patientinnen und -Patienten aus dem Ausland zurückgeführt sowie verletzte ukrainische Zivilpersonen zur Behandlung in Schweizer Spitälern geflogen und bereiten nun auch die Aufnahme von verletzten Kindern aus Gaza vor – inklusive der gesamten Logistik. All das gehört zu unserer DNA als humanitäre Organisation, die dem Patientenwohl verpflichtet ist. Ich wünsche mir, dass die öffentliche Hand diese Leistungen anerkennt und uns die nötigen Rahmenbedingungen gibt, damit wir unseren Auftrag langfristig erfüllen können.

 

 

Rega-Umzug nach Kägiswil stösst auf Widerstand

Die Rega muss ihren Hauptsitz am Flughafen Zürich bis 2030 räumen und will nach Kägiswil OW ziehen. Dort sollen Verwaltung, Wartung, die nationale Luftrettungszentrale und auch der Hauptsitz der Alpinen Rettung Schweiz angesiedelt werden. Rund 200 Mitarbeitende wären betroffen.

Gegen die Ansiedlung regt sich mas­siver Widerstand. Drei Flugschulen, Segelfluggruppen und Vereine befürchten, dass ihre Existenz gefährdet wäre, weil die bestehende Start- und Landepiste verschwinden soll. Innert weniger Tage wurden rund 5000 Unterschriften für den Erhalt gesammelt, wie der «Blick» berichtete. Kritiker warnen vor dem Verlust ­einer wichtigen Ausbildungsplattform in der Zentralschweiz: Rund 60 Prozent der 10 000 bis 13 000 Flugbewegungen pro Jahr entfallen dort auf die Grundschulung. Rega-CEO Ernst Kohler sagt zur Streitigkeit: «Zu Beginn haben wir geprüft, ob eine gemeinsame Nutzung möglich wäre. Doch die Gespräche mit den Landeigentümern haben klar gezeigt: Deren Zustimmung für eine Umnutzung ist an den Rückbau der Piste geknüpft. Eine Mehrfachnutzung würde am fehlenden Einverständnis der Eigentümer scheitern und damit würde der Aviatikstandort Kägiswil komplett verschwinden.»

Der Kanton Obwalden unterstützt die Pläne, doch über die künftige Nutzung entscheidet letztlich der Bund. Mit einem Entscheid wird frühestens Ende 2026 gerechnet. Bis dahin gilt ein befristetes Baurecht, und der Flugplatz bleibt mindestens bis September 2026 in Betrieb. Offen ist auch die Zukunft der Jet-Flotte. Eine Möglichkeit wäre, sie auf einer anderen Parzelle des Flughafens Zürich zu stationieren. Zusätzlich prüft die Rega eine Verlegung der Jet-Basis nach Bern-Belp. Definitive Entscheide seitens der Rega stehen noch aus. (ts.)

 

Die Rega setzt ab 2026 auf ein neues Helikoptermodell

Die Rega erneuert derzeit Schritt für Schritt ihre gesamte Helikopterflotte. Am 10. Oktober soll auch die Basis Dübendorf ihren neuen Rettungshelikopter vom Typ Airbus H145 D3 erhalten (siehe Bild links), der vom Rega-Center nach Dübendorf überflogen wird. Bereits im September sei die Maschine in St. Gallen in Betrieb genommen worden.

Warum braucht die Rega neue Helikopter? Die Zuverlässigkeit ihrer Flotte sei für die Rega ein entscheidender Faktor. Deshalb werden die 2009 beschafften Da-Vinci-Helikopter, die sich im Einsatz sehr bewährt haben, von 2024 bis 2026 durch den modernen und leistungsstarken H145 mit Fünfblatt-Rotor abgelöst. Mit den neuen Rettungshelikoptern kann der Wartungsaufwand reduziert und die hervorragende Verfügbarkeit der Flotte erhalten werden. Die Rega setzt mit dem Entscheid für den H145 neu auf eine Einheitsflotte.

Mit der Einheitsflotte wird künftig auf allen Basen derselbe Helikoptertyp eingesetzt. «Das vereinfacht die Wartung und Ersatzteilbewirtschaftung und reduziert den Trainingsaufwand für die Crews», sagt Adrian Schindler, Rega-Mediensprecher. Etwa alle 15 Jahre steht bei der Organisation ein solcher Flottenwechsel an. Die bisherigen Maschinen, wie die «AgustaWestland Da Vinci», werden ins Ausland verkauft. (ts.)