Mähen, wenn andere schon fertig sind

Roger Suter

Die Wiesen entlang der Glattalbahn sind gemäht worden – aber so spät, dass die Blumen versamen konnten. Der nächste Schnitt erfolgt erst im Herbst. Speziell war dieses Jahr, dass das Gras im Klotener Abschnitt nicht abtransportiert werden durfte.

Während die Bauern das Heu schon länger ins Trockene gebracht (beziehungsweise daraus Ballen gepresst) haben, stand das Gras zwischen den Gleisen der Glattalbahn länger. Dies gibt den Pflanzen genug Zeit, um fürs kommende Jahr wieder Samen auszubilden. Erst Anfang Juli wurde auf der Strecke zwischen der Haltestelle Leutschenbach, dem Bahnhof Stettbach und dem Flughafen gemäht.

Das begrünte Trassee (siehe Box) misst dabei rund 7100 Laufmeter. Das gesamte Blumentrassee umfasst rund 72 000 Quadratmeter oder zehn Fussballfelder. Dafür veranschlagen die Verkehrsbetriebe Glattal (VBG), welche die Glattalbahn betreiben, jeweils fünf nächtliche Arbeitsschichten und kündigen sie im Vorfeld an. Denn gemäht wird ausschliesslich nachts; einerseits, um den regulären Trambetrieb sowie den Strassenverkehr nicht zu beeinträchtigen, aber auch, um die Sicherheit der Arbeitenden zu gewährleisten.

Wegen unvorhergesehener Ereignisse musste bei der Mähaktion in der ersten Juliwoche eine weitere Nachtschicht in der zweiten angehängt werden. Das sei jedoch nichts Aussergewöhnliches, so Victoria Sutter, Mediensprecherin der VBG, denn die Witterungsverhältnisse oder unvorhergesehene Arbeiten können das Mähen immer mal wieder verzögern.

Zwischen letztem und erstem Tram

In der Nacht auf Donnerstag läuft jedoch alles rund: Gleich nach der letzten Tramfahrt haben sich die 12 Gartenbauer der beauftragten Firma GGZ an die Arbeit gemacht. Sie arbeiten sich von der Haltestelle Lindberghplatz Richtung Zürich vor. Sie tragen Stahlkappenschuhe, Helm, Stirnlampen, wasserfeste und gut sichtbare Kleidung und wenn nötig Masken oder Schutzvisiere, damit sie nicht von allfälligen Spänen oder herumliegendem Abfall getroffen werden und jederzeit sichtbar sind. Trotzdem überwacht ein Mitarbeiter einer Firma für Bahnsicherheit den Streckenabschnitt ständig. Denn für alle Eisenbahnverkehrsunternehmen, kurz EVU, gibt es entsprechend spezielle Vorschriften – etwa, weil die Oberleitung auch nachts unter Strom steht.

Darunter sind die Gartenbauer mit Rasenmähtraktoren, Rasenmähern und auch mit Rasentrimmern an der Arbeit. Entlang der Gleise gibt es viele Stellen, an die man mit den grossen Fahrzeugen nicht herankommt: Randsteine, Fahrleitungs- und Signalmasten, Geländer und andere Abschrankungen. Während umweltbewusste Gartenbesitzer (und sämtliche Rasenmäherroboter) das Mähgut aber liegenlassen und so als natürlichen Dünger verwenden, ist dies auf den Tramtrassees ausdrücklich nicht erwünscht. Sie müssen «mager» bleiben. Das Gras wird deshalb direkt auf die bereitstehenden Kleinlastwagen gekippt: Die Traktoren können dazu ihre Auffangbehälter heben. Anschliessend wird es fachgerecht entsorgt, normalerweise in Biogas- oder Kompostieranlagen, dieses Jahr aufgrund von immer mehr Abfall auf dem Grüntrassee leider erstmals in der Kehrichtverbrennungsanlage. Weil in Kloten aber auch dieses Jahr Japankäfer entdeckt wurden und deshalb kein Grüngut aus der Stadt abtransportiert werden darf, wird das Gras vom Abschnitt Kloten in Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung dort in der Grüngutdeponie Kloten entsorgt. Der zweite und zugleich letzte Schnitt im  Jahr erfolgt jeweils ungefähr Mitte Herbst, wiederum nach Abblühen der Wildblumen.

Kosten sind kein Argument

Das Mähen ist aber nicht der einzige Unterhalt, der hier geleistet werden muss, so Mediensprecherin Victoria Sutter. «Nebst den Mäharbeiten beschäftigt uns unter anderem beispielsweise gegen Jahresende auch noch das Zusammennehmen des Laubs. Dieser Durchgang erfolgt ebenfalls während dreier Nächte.» Nasses Laub auf den Gleisen verringert wie Seife die Reibung und lässt die Tramräder rutschen. Die gesamten Unterhaltskosten belaufen sich jährlich auf etwa 100 000 Franken. Wäre eine feste Fläche günstiger? «Nebst dem Blumentrassee haben wir auch Schotter und Beton», antwortet Victoria Sutter. «Die Unterhaltsarbeiten variieren je nach Trassee-Art, da jedes Trassee andere Voraussetzungen mit sich bringt. Deshalb lassen sich die jeweiligen Unterhaltskosten nicht direkt vergleichen.» Die Kosten spielen aber eine untergeordnete Rolle: Zweck des Blumentrassees ist es, die Biodiversität zu erhalten – oder gar zu erweitern. Dies gelingt nicht zuletzt dadurch, weil hier nur zweimal jährlich gemäht wird und die Pflanzen und Tiere im restlichen Blumentrassee sonst ihre Ruhe haben.

 

Warum hier überhaupt Blumen sind

Beim Bau der Glattalbahn achtete man darauf, die Lebensräume im und um den Gleisbereich herum zu erhalten und womöglich aufzuwerten. Um die Artenvielfalt dieser sogenannten Magerwiese zu erhalten, wird das Trassee ungedüngt belassen und nur zweimal jährlich gemäht. «Der VBG ist es wichtig, dass die Glattalbahn einer Artenvielfalt nicht im Wege steht», so Mediensprecherin Victoria Sutter. Das begrünte Trassee habe ausserdem eine natürliche, lärmmindernde Wirkung und trage während der heissen Sommermonate zur Minderung der Hitzeentwicklung bei. «Natürliche Lebensräume sind für Tiere und Pflanzen notwendig, damit sie sich fortpflanzen und wohl fühlen können. Alles zubetonieren ist aus diesen Gründen keine Option.»