Graue Eminenzen enthüllen das Erbe der Swissair

Thomas Güntert

Gusti Kehl aus Opfikon und drei weitere Senioren beleuchten im Dorfmuseum Hüntwangen in der Sonderausstellung «Swissair-Erinnerungen» die faszinierende Geschichte der Schweizer Fluggesellschaft.

Seit der Eröffnung im Jahr 2014 lockt das Dorfmuseum in der Rafzerfelder Gemeinde Hüntwangen viele Besucher an. Neben der Dauerausstellung mit den Schwerpunkten «Veränderung der Landschaft» und «Hutindustrie» gibt es in jedem Jahr als Ergänzung eine Sonder­ausstellung mit Bezug zur Region. In der letzten Woche haben Werni Meier und Viktor Strässler von der Museumskommission mit Gusti Kehl, dem ehemaligen Haus- und Hoffotografen der Swissair, und dem einstigen Flugingenieur und leidenschaftlichen Filmemacher Otto Haller die Sonderausstellung «Swissair-Erinnerungen» aufgebaut.

Die Idee zur Ausstellung entstand bereits vor zwei Jahren, als der ehemalige Swissair-Angestellte Hans Peter Millischer in der Sonderausstellung «Rockmusik im Vinylzeitalter» seine Schallplattensammlung präsentierte und August «Gusti» Kehl (78) darauf aufmerksam wurde, als er das Dorfmuseum in Hüntwangen besuchte. Kehl ist ursprünglich ein Appenzeller, wohnt seit Jahren aber in Opfikon. Im Gespräch mit der Museumskommission bot er eine Auswahl seiner unzähligen Bilder aus dem Flughafenbetrieb an, falls einmal Bedarf dafür bestehen würde.

«Nach einem Jahr kam dann der Anruf von Viktor Strässler», erinnerte sich Kehl. Für den regionalen Bezug zum Dorf Hüntwangen sorgt Brigitta Moser-Harder, welche von 1964 bis 1997 bei der Swissair als Hostess (wie die Cabin Crew Members damals hiessen) und nebenbei noch einige Jahre als Journalistin tätig war. Mit ihrem kürzlich verstorbenen Mann Amadeo kaufte sie 1974 in Hüntwangen ein über 300 Jahre altes Bauernhaus, und sie bauten es um. Die heute 81-jährige Seniorin war am 6. September 1970 dabei, als eine voll besetzte DC-8 auf dem Flug von Zürich nach New York von zwei bewaffneten Palästinensern der «Popular Front for the Liberation of Palestine» (PFLP) nach Zerqa in die jordanische Wüste entführt wurde.

Gusti, der Fotograf aus Opfikon

«Ich war an jeder ‹Hundsverlochete›, in der Hierarchie von zuoberst bis zuunterst», sagte August Kehl, der von 1971 bis 2001 bei der Swissair das Tagesgeschäft auf dem Flughafen und oft auch in der Luft in Bildern festgehalten hatte. Die meisten Bilder der Swissair sind bei der ETH Zürich archiviert. «Es sind etwa 300 000, von denen 44 000 mit ‹Swissair- Foto› deklariert sind.»

Kehl hatte Zugang zum ganzen Flughafenareal. Das Fotografieren neuer Swissair-Jets und -Destinationen gehörte ebenso zu seinem Aufgabenbereich. Dabei kamen ihm aber auch zahlreiche Prominente wie Sophia Loren oder der junge Roger Federer vor die Linsen. «Ich habe sogar einem Heiligen die Hand gegeben», sagt Kehl und zeigt auf ein Bild, auf dem er neben Papst Johannes Paul II. im Flugzeug sitzt. «Da hatte ich die Haare noch dunkel gefärbt», schmunzelt der grauhaarige Senior und erzählt, dass der Papst in Liechtenstein, Genf und Zürich war, immer mit der Alitalia-Maschine anreiste und mit der Fluglinie des Gastgeberlandes wieder zurückflog. «Ich musste katholisch sein, einen Anzug anziehen, und der Ablauf lief streng nach Protokoll ab», sagt Kehl und betont, dass ein Fotograf nur gut ist, wenn er nicht auffällt.

Galeriewand gibt Einblick

Er pflegte stets auch ein gutes Verhältnis zu den Putzfrauen und zum Bodenpersonal, weil sie für ihn oftmals kurzfristige Putzarbeiten im Flieger erledigten, wenn vor dem Abflug noch ein Gruppenfoto gemacht werden musste. Für die nostalgische Swissair-Ausstellung wurden Dias aus dem Privatarchiv von Kehl ausgesucht, digitalisiert und daraus eine Galeriewand erstellt. Das war früher das Tagesgeschäft von Werner Meier (70), ehemaliger Reprofotograf und Präsident der Museumskommission.

Geschichten und Anekdoten

«Ich war bis 1999 bei der Swissair, und dann sind sie ‹verlumpet›», sagt Otto ­Haller. Der heute 80-Jährige aus Buchberg hat sechs Jahre lang weltweit auf den internationalen Flughäfen als Stations­mechaniker die Flugzeuge der Swissair repariert, ehe er 20 Jahre in den DC-8, den DC-10 und im Jumbo neben zwei Piloten als Flugingenieur der dritte Mann im Cockpit war. «Mittlerweile braucht es den Bordmechaniker nicht mehr, es ist alles computerisiert», sagt Haller, der seit 45 Jahren auch Filme produziert.

Für die Ausstellung hat er neben dem Werbetrailer auch einen Film zusammengestellt, in dem er und Brigitta Harder- Moser Erlebnisse, Geschichten und Anekdoten aus ihrem Flughafenalltag erzählen. «Wir erzählen im Film Sachen, die man nicht ausstellen kann», sagt Haller. Der 45-minütige Film wird während der Öffnungszeiten im Gemeindesaal der «Goldbachschür» gezeigt. In der Ausstellung läuft auf einem Monitor auch durchgängig eine Bilderpräsentation mit sämtlichen Flugzeugen der Swissair. Unter anderem können auch die Uniform von Brigitta Moser-Harder, die sie bei der Entführung der Swissair DC-8 getragen hat, und weitere Raritäten besichtigt werden.

Protagonisten sind vor Ort

Das Museum mit der Sonderausstellung «Swissair-Erinnerungen» ist bis Dezember jeden ersten Sonntag im Monat von 14 bis 17 Uhr geöffnet. Führungen ausserhalb der Öffnungszeiten können bei Werner Meier, Telefon 044 521 05 99 oder per Mail dorfmuseum@huentwangen.ch, vereinbart werden.

In dem komplett rollstuhlgängigen und mit einem Treppenlift ausgestatteten Dorfmuseum ist auch das «Kafi Goldbachschür» integriert. Die Besucher haben während der Öffnungszeiten des Dorfmuseums zudem die Gelegenheit, sich mit den Protagonisten Gusti Kehl und Otto Haller zu unterhalten, die sehr gerne aus ihrem Nähkästchen plaudern. Brigitta Moser-Harder kommt ab Mai dazu, da sie die kalten Monate in Florida verbringt.

 

Dorfstr. 59, Hüntwangen. Jeden 1. So. im Monat, 14–17 Uhr. dorfmuseum-huentwangen.ch