Flugbetrieb soll vor Umweltrecht gehen

Roger Suter

Weiterhin Gegenwind für Albert Rösti, diesmal in der Luft: Die Teilrevision des Luftfahrtgesetzes bringt die Fluglärmorganisationen auf die Palme. Sie kritisieren, dass mit den Änderungen der Lärm- und Umweltschutz ausgehebelt sowie Mitsprache beschnitten werde.

Der Bundesrat will das Luftfahrtgesetz ändern – unter anderem, weil er Vorstösse des Parlaments umsetzen müsse, begründet dies die Regierung. Er hat dazu Ende August einen Vorentwurf in die Vernehmlassung gegeben, wo sich die Betroffenen noch bis am 28. November äussern können. Dabei geht es unter anderem um die strafrechtliche Zuständigkeit bei Flugunfällen, das Pilotenalter und das Beschaffungswesen (siehe Box).

Gegen weitere Änderungen sprechen sich aber sowohl der Schutzverband der Bevölkerung um den Flughafen Zürich (SBFZ) als auch die Behördenorganisation Region Ost aus, welche 122 Gemeinden in den Kantonen Zürich, Thurgau, St. Gallen und Appenzell Ausserrhoden mit rund 756 000 Einwohnerinnen und Einwohnern vertritt. Und schon länger hat die Anti-Fluglärm-Organisation Fair in Air ihre sogenannte Nachtruhe-Initiative eingereicht, welche ein Flugverbot von 23 bis 6 Uhr verlangt. Alle drei Organisationen haben ihre Stellungnahmen untereinander abgestimmt und letzten Freitag gleichzeitig veröffentlicht.

Bestandsschutz für den Betrieb

Besonders umstritten ist dabei der Bestandsschutz für Landesflughäfen (Zürich und Genf), welcher der Initiative diametral entgegensteht. Zwar sind bereits heute die Flughäfen als Gesamtanlagen in ihrem Bestand geschützt, was unter anderem bei der Renaturierung als Kompensation für Ausbauten zum Tragen kommt. Mit dem neuen Gesetz sollen die beiden Flughäfen aber auch in ihrem betrieblichen Umfang eine Besitzstandsgarantie erhalten. Damit könnten die Eckwerte des Flughafenbetriebs, etwa die Betriebszeiten, auch dann grundsätzlich nicht eingeschränkt werden – selbst wenn nicht nur Initiativen, sondern sogar das geltende Umweltrecht dagegen sprächen.

Für den SBFZ bedeutet dies, «dass ­umweltrechtliche Bestimmungen zum Schutz der Bevölkerung insbesondere vor lästigen und schädlichen Lärmimmissionen faktisch ausser Kraft gesetzt werden». Der Flugbetrieb (etwa die Nachtflugsperrzeiten) dürfte künftig nicht mehr an neue Erkenntnisse, etwa zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Lärm, angepasst werden. «Ein solcher Paragraf schadet der Bevölkerung und gehört nicht in dieses Gesetz», so der SBFZ.

Auch die «Region Ost» kritisiert diese «Zementierung der heutigen Betriebszeiten» (6 bis 23 Uhr, Verspätungsabbau ohne Bewilligung bis 23.30 Uhr, mit bis Mitternacht): Der neue Passus würde es dem Bund erlauben, die Rahmenbedingungen im Sachplan Infrastruktur Luftfahrt (SIL) und im darauf fussenden Betriebsreglement ohne Rücksicht auf das Bedürfnis der Bevölkerung auf Nachtruhe auszugestalten. «Die Erfüllung der internationalen Luftverkehrsnachfrage hätte somit Vorrang vor dem Schutz der Bevölkerung vor lästigem und schädlichem Lärm», kritisiert die «Region Ost». «Sollte der Flugbetrieb die festgelegten Grenzen überschreiten, könnten diese zugunsten des Flughafens angepasst werden.»

Nicht mehr prinzipiell öffentlich

Umstritten sind auch Ausnahmen vom Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ). Betroffen wären etwa Audit- und Inspektionsberichte sowie Meldungen von Pilotinnen und Piloten zu sicherheitsrelevanten Ereignissen («Just Culture», siehe weiter unten). Diese Informationen sollen neu geschützt sein und nicht an die Öffentlichkeit gelangen dürfen, weil die Meldungen sonst unvollständig sein könnten, was der Sicherheit schade. In der Luft gilt europaweit das Prinzip der «Just Culture»: Alles, was für die Sicherheit entscheidend sein könnte, soll gemeldet werden, um diese zu verbessern. Damit das klappt, sollen den Meldenden keine Nachteile entstehen. Dieser Grundsatz soll im Luftfahrtgesetz verankert werden. Im Eisenbahngesetz ist eine solche Bestimmung für die Sicherheitsuntersuchungsstelle (SUST) bereits vorhanden.

Der Vorrang der Sicherheit sei verständlich, so die «Region Ost». Die Regelung dürfe aber nicht dazu führen, dass der betroffenen Bevölkerung die Einsicht in flugbetriebliche Daten verwehrt werde, wenn ein berechtigtes Anliegen bestehe. Wie der SBFZ verlangt die «Region Ost» deshalb eine Vorbehaltsregel, welche diesen Missbrauch verhindert.

Weniger Mitsprache beim Bauen

Nach dem neuen Gesetz benötigten Nebenanlagen nach kantonalem Recht ebenfalls die Zustimmung des Bundes. Die «Region Ost» kritisiert, dass so die Rechte von Kanton und Bevölkerung eingeschränkt würden, weil der Kanton bei Nebenanlagen nicht mehr eigenständig entscheiden könne. Zudem wolle das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) auch mehr Macht bei der Festlegung von Projektierungs- und Sicherheitszonen. Einschränkungen des Mitspracherechts lehnen alle Organisationen ab.

Luftfahrtgesetz: Diese Punkte sind kaum umstritten

Die Revision des Luftfahrtgesetzes (LFG) umfasst insgesamt 22 Themen. Einige Änderungen werden nötig, weil der Bundesrat Vorstösse des Parlaments umsetzen muss. So verlangt eine Motion, dass die Bundesanwaltschaft gravierende Verstössen in der Luftfahrt verfolgt und beurteilt. Dort könnten  Fachwissen gebündelt und die Verfahren effizienter werden. Zwei weitere Motionen wollen mit einer nationalen Berufspilotenlizenz ermöglichen, dass gewerbsmässig tätige Helikopterpilotinnen und -piloten bis zum 65. Altersjahr fliegen dürfen. Eine Motion der Verkehrskommission des Nationalrats will die Flughäfen als systemrelevante und volkswirtschaftlich wichtige Infrastrukturen von der öffentlichen Ausschreibungspflicht befreien.

Ferner soll die Schweizerische Flugsicherung Skyguide mehr Dienstleistungen an ausländische Anbieter auslagern dürfen. Mit der Digitalisierung und der europaweit angestrebten Liberalisierung von Flugsicherungsdiensten (Single European Sky) gewännen solche Projekte an Bedeutung, so der Bundesrat.

Um Personen-Zuverlässigkeitsüberprüfungen (Background Checks) etwa bei Sicherheitsbeauftragten oder Skyguide-Mitarbeitenden durchführen zu können, brauche es eine Ergänzung im LFG. Zudem soll der Austausch von Informationen zwischen den Behörden und der Industrie genauer geregelt werden.

Flugplatzleiterinnen und -leiter sollen neu bei Anzeichen von Angetrunkenheit oder Drogenkonsum Kontrollen des Personals durch die Polizei anordnen können.

Neu soll es gesetzlich erlaubt sein, Fundsachen und konfiszierte Gegenstände an Flughäfen zu verwerten.

Um Abläufe zu vereinfachen, sollen Flughäfen und Fluggesellschaften neu biometrische Passagierdaten (Gesichtserkennung) verwenden dürfen.