Berra ist mit grosser Liebe bald vereint
Klotens ewige Goalie-Legende Reto Pavoni war sein Leitstern. Ab der kommenden Saison steht der hoch dekorierte, aktuell beste Goalie der National League und seit je Kloten-Fan, Reto Berra (38), beim EHC Kloten im Tor. Für den Bülacher wird sich eine Sehnsucht erfüllen.
Als Bub verehrte Berra Klotens vierfachen Meistergoalie und Nationalkeeper Reto Pavoni wie keinen anderen Spieler. Die Goalie-Legende des EHC Kloten beendete ihre Karriere 2008 bei Fribourg-Gottéron. Als 40-Jähriger verstärkte Pavoni die Freiburger für die Playoffs und kam im Halbfinal gegen Genf zu drei Einsätzen.
Heute ist der 1,94 Meter grosse Berra selbst eine Schweizer Torhütergrösse, fast schon eine Koryphäe. Er verbrachte mehrere Jahre in Nordamerika, gewann mit der Schweizer Nationalmannschaft dreimal WM-Silber (2013, 2018, 2024), wurde Schweizer Meister mit Davos (2009) und triumphierte zweimal beim Spengler Cup, zuletzt 2024 mit Fribourg-Gottéron.
Der holprige Aufstieg
Doch sein Hockey-Herz schlug immer für Kloten, obwohl er als Junior nie für die Flughafenstädter spielte. Als er bei Bülach im Nachwuchs aktiv war, wollte er unbedingt in Klotens Juniorenabteilung durchstarten. Die Konkurrenz war allerdings enorm: In seinem Jahrgang oder knapp jünger gab es zahlreiche spätere NL-Torhüter wie Lukas Flüeler, Robert Mayer und Pascal Caminada. Also schloss sich der Sportschüler der Organisation der ZSC Lions an, entwickelte sich dort zum Profi und startete seine Karriere als Back-up von Klubikone Ari Sulander.
Ab der kommenden Saison spielt Berra nun endlich für Kloten, wo er kürzlich einen Zweijahresvertrag unterzeichnet hat. Der Bülacher möchte als Nachfolger von Ludovic Waeber (zurück zu Gottéron) seine eindrucksvolle Karriere beim Herzensklub ausklingen lassen. Vorher will er sowohl mit Fribourg-Gottéron als auch mit der Schweizer Nationalmannschaft (Olympische Spiele, Heim-WM) nochmals voll angreifen.
Letzte Saison hatte Berra in Absprache mit Nationalcoach Patrick Fischer eine Auszeit genommen und damit eine vierte WM-Silbermedaille verpasst. Auf diese Saison kehrte er ins Nationalteam zurück und bestritt in der vergangenen Woche die ersten Länderspiele. Beim 3:1-Auftaktsieg in Tampere gegen Olympiasieger Finnland zeigte er bei seinem Comeback eine herausragende Leistung, beeindruckte durch Ruhe und präzises Winkelspiel. Gegenüber SRF sprach er über die Wirkung der Zusammenarbeit mit Mentaltrainer Marco Lehmann: «Ich fühle mich auf dem Eis so unbeschwert wie ein Bub, der vor dem Haus Hockey spielt»
Doch so verheissungsvoll das Comeback begann, ganz ohne Rückschlag lief das Wochenende nicht ab. Zum Abschluss der European Hockey Tour kassierte die Schweiz am Sonntag ein 0:4 gegen Tschechien, und Berra musste nach vier Gegentoren zur Spielmitte seinen Platz an Sandro Aeschlimann abtreten. Ein Dämpfer, der erwähnt werden muss, im Gesamtbild aber kaum darüber hinwegtäuscht, wie stark er derzeit unterwegs ist.
Am 3. Januar wird Berra 39. Dennoch spielt er aktuell so überzeugend wie eh und je und vermittelt oft den Eindruck, als bewege er sich weiterhin am Zenit seines Könnens, vergleichbar mit seinem langjährigen Nationalteam-Weggefährten Leonardo Genoni (38), der bei der letzten WM zum MVP gewählt wurde. Für Olympia in Italien mit NHL-Beteiligung im Februar sind Genoni und NHL-Keeper Akira Schmid (Las Vegas) so gut wie gesetzt. Dahinter kämpfen Berra, Stéphane Charlin (Genf) und Sandro Aeschlimann (Davos) um den letzten freien Platz im Schweizer Goalie-Trio.
«Berra noch nie so stark erlebt»
Berras Erfahrung zahlt sich derweil aus, sein Hunger ist ungebrochen. Zur Länderspielpause führte er die National League mit einer Fangquote von 93,47 Prozent und einem Gegentorschnitt von 1,58 an. Gemäss tiefergehenden Statistiken hätte er aufgrund der Quantität und Qualität der gegnerischen Abschlüsse über acht weitere Gegentore kassieren müssen. Kein Wunder, sagt Nationaltrainer Fischer: «Ich habe ihn noch nie so stark gesehen. Er geniesst es, weil er weiss, dass er nicht mehr 100 Jahre Hockey spielen kann, und daraus zieht er Motivation.»
Auf Nationalteam-Stufe ragt insbesondere Berras Shutout gegen die USA im WM-Halbfinal 2013 (3:0) heraus. In den letzten NL-Playoffs war er zudem der zweitbeste Torhüter hinter Meistergoalie Simon Hrubec (ZSC). Berra hatte entscheidenden Anteil daran, dass Gottéron im Halbfinal gegen Lausanne ein siebtes und alles entscheidendes Spiel erzwang.
Der «Klotener Anzeiger»/«Stadt-Anzeiger Opfikon» sprach exklusiv mit Berra, der ab der nächsten Saison einen für zwei Jahre gültigen Vertrag bei den Zürcher Unterländern besitzt.
Wie haben Sie das letzte Duell von Fribourg-Gottéron mit Kloten Ende Oktober erlebt, als Sie eine Pause erhielten und als Ersatzkeeper den 4:2-Heimsieg der Flughafenstädter nach 0:2-Rückstand miterlebten?
Wir starteten gut und führten 2:0. Danach wurde Kloten immer stärker. Es wurde der Abend von Dario Meyer (drei Tore, ein Assist). Besonders sein Treffer zum 3:2 bleibt mir: ein Backhand-Abschluss, nachdem er unsere Abwehr düpiert hatte. Das war sensationell. Wir selbst spielten nicht konstant über 60 Minuten. Kloten war schon im ersten Saisonduell in Freiburg sehr stark, als wir erst im Penaltyschiessen gewannen. Sie setzten ihren ‹Game Plan› konsequent um und waren gut gecoacht. Schon letzte Saison überzeugte mich Kloten. Sie spielten deutlich besser als erwartet. Waeber, Ramel, Simic und Meyer gefielen mir sehr. Auch Leandro Profico bringt viel Erfahrung ein, sein Leistungsvermögen schätze ich hoch ein. Ich bin überzeugt, dass Kloten daran anknüpfen kann. Gegen uns reagierten sie nach einem schwachen Startdrittel, und das ist wichtig. In Kloten wird gute Arbeit geleistet. Sie haben fünf der sechs Importpositionen neu besetzt, und ich finde, die neuen Ausländer sind auch stark.
Wie kamen die Kontakte zu Kloten zustande?
Ich kenne Sportchef Ricardo Schödler seit unseren Jugendzeiten beim EHC Bülach. Später war er lange Manager der Nationalmannschaft. Wir erlebten viele Weltmeisterschaften und Olympische Spiele zusammen. Als er vor eineinhalb Jahren seinen Job in Kloten antrat, gratulierte ich ihm und sagte damals schon: Vergiss mich nicht, falls Ludo nach Freiburg geht. Ich würde unglaublich gern für Kloten spielen und dort meine Karriere beenden. Wir blieben in Kontakt. Schödler meinte, er müsse erst abwarten. Aber wenn Ludo gehe, wäre es eine hervorragende Option. Und als Ludo tatsächlich unterschrieb, meldete er sich.
Weshalb Kloten?
Mir geht es um die emotionale Verbindung. Ich habe eine wunderschöne Zeit in Freiburg. Aber Kloten ist mein Jugendklub, für den ich als Bub schwärmte. Wenn sich die Möglichkeit bot, wollte ich dahin. Deshalb sprach ich mit keinem anderen Verein, auch wenn es Angebote gegeben hätte. Als 14-Jähriger wollte ich eigentlich von Bülach in Klotens Nachwuchs wechseln. Doch dort spielten damals viele talentierte Goalies meines Jahrgangs. So ging ich zu den ZSC Lions und musste mich durchbeissen. Ich war ein riesiger Kloten-Fan, Pavoni war mein grosses Vorbild, deshalb trage ich heute seine Nummer 20.
Dann gibt es diese rührende Geschichte um Pavonis Stock, den Sie bei seinem Jubiläumsspiel erhielten.
Mein Vater und ich sahen oft die Erstliga-Spiele von Bülach, aber gelegentlich gingen wir auch nach Kloten. Ich trug immer das Pavoni-Leibchen. Deshalb spiele ich heute mit der 20. An meinem 12. Geburtstag, 1999, wurde Pavoni für sein 500. Meisterschaftsspiel geehrt. Mein Vater organisierte, dass ich seinen Stock erhielt. Zuerst wollte Pavoni ihn einem anderen Jungen geben, bis man ihm sagte, der Stock sei für mich, den anderen Reto.
Wie halten Sie dieses hohe Niveau oder werden sogar noch besser?
Durch eine bewusste, ganzheitliche Lebensweise. Mir wurde klar, was ich in Bereichen wie Schlaf, Ernährung oder Regeneration tun muss. Vor drei Jahren hatte ich eine Bandscheibenoperation, die ich gut überstanden habe. Ich achte verstärkt auf Regeneration, nehme abends beispielsweise Kältebäder. Insgesamt bin ich in allen Bereichen professioneller geworden. Energie gibt mir vor allem, dass ich Eishockey wieder wie ein Bub geniesse. Ich habe eine Karriere hinter mir, der Druck von früher ist weg und wurde durch Dankbarkeit ersetzt. In den letzten beiden Saisons bestritt ich die meisten Qualispiele aller Torhüter der National League (41 bzw. 42). Ich fühle mich nie müde. Die Freude ist da wie damals als Kind. Und da das Karrierenende näher- rückt, gibt mir diese Dankbarkeit unglaublich viel Energie.
Mit Kloten wollen Sie ebenfalls noch etwas erreichen?
Momentan konzentriere ich mich voll auf Fribourg-Gottéron und auf das Nationalteam mit Olympia und Heim-WM. Das motiviert mich enorm. Aber klar möchte ich mit Kloten die Playoffs erreichen. In meiner Vision sehe ich Kloten in den kommenden Jahren Schritt für Schritt wieder dorthin zurückkehren, wo der Klub einmal stand. Das braucht Detailarbeit und das ganze Team. Ich will meinen Teil beitragen und mein aktuelles Leistungsniveau auch in Kloten halten.
Gottérons Goalietrainer David Aebischer lobt Ihre Geschmeidigkeit.
Ich bewege mich gern, dehne mich häufig, habe zu Hause eine Faszienrolle. Schon in Biel (2009 bis 2013) begann ich mit Yoga. Eine Atemtechnik hilft mir zudem. Ein Buch von Wim Hof inspirierte mich. Seit zwei Jahren wende ich seine Methode konsequent an: 30-mal rasch ein- und ausatmen, dann die Luft anhalten, so viele Runden wie man möchte. Das tut Körper und Geist gut. Die Kältebäder verbessern meinen Schlaf nach Spielen, besonders nach zwei Partien an aufeinanderfolgenden Tagen. Ich schlafe viel schneller ein als früher.
Wie verlief die Planung mit Schödler?
Wir vereinbarten, dass wir nach dem ersten Vertragsjahr zusammensitzen und prüfen, ob eine dritte Saison infrage kommt. Oder ob ich mich nach meiner aktiven Karriere im Nachwuchs engagieren kann. Es ist mein Ziel, dem Klub über die Spielerkarriere hinaus zu helfen. Das ist mein Traum. Ich war als Bub ein riesiger Kloten-Fan, der Verein bereitete mir so viel Freude. Ich möchte etwas zurückgeben und mithelfen, Kloten wieder nach oben zu führen. Dass der Klub in zehn Jahren wieder dort steht wie 1996. Den vierten Meistertitel in Folge von 1996 erlebte ich als Neunjähriger bewusst. Ich erinnere mich noch genau. Ich sortierte seinerzeit auch die Hockeybilder zu Hause mit meiner Schwester.
Welche Kontakte zu aktuellen Klotener Spielern oder mit Klotener Vergangenheit haben Sie?
Mein bester Freund ist Aurelio Lemm, der einst für Kloten spielte. Weitere Kontakte bestehen zu Marcel Jenni, Lukas Stoop und Denis Hollenstein sowie dessen Vater Felix. Denis war auch im WM-Silberteam von 2013 dabei. Dann kenne ich natürlich noch den aktuellen Captain Steve Kellenberger sehr, da wir den gleichen Jahrgang haben und schon 2001 als 14-Jährige zusammen am Pee-Wee-Tournament in Québec spielten.
Sie sammelten während fünf Jahren vielfältige Erfahrungen in Nordamerika.
Es waren teilweise harte Zeiten. Heute bin ich enorm dankbar für unsere Liga, unser Publikum und die Fans. Das ist ein Privileg. Mit dieser Dankbarkeit spiele ich jetzt. Drüben erhielt ich manchmal abends einen Anruf, dass ich morgens um 4.30 Uhr am Flughafen sein müsse. Ich erinnere mich gut, wie ich spätabends ein Taxi organisieren musste, um in Springfield (AHL-Team der Florida Panthers) in die Halle zu fahren und meine Ausrüstung zu packen. Springfield gehörte damals zu den US-Städten mit hoher Gewaltkriminalität. Und ich wurde häufig zwischen NHL und AHL hin- und hergeschoben. Das war hart, sich ständig neu einzufinden. Ich hätte zwar auch früher zurückkehren können, zog es jedoch durch und kam auf über 80 NHL-Spiele. Das bleibt mir immer. Unvergessen ist der Sieg mit den Calgary Flames 2013 zum Saisonbeginn in Chicago gegen den amtierenden Stanleycup-Sieger. Zwei Abende zuvor spielte ich noch in der AHL in Abbotsford, wir verloren hoch. Als wir morgens um 4 Uhr vom Roadtrip zurückkamen, sagte mir der Coach, dass Calgary mich für das Spiel abgerufen habe. Ich war überrascht, da meine Leistung nicht besonders war. Am Spieltag erklärte mir der Headcoach, dass ich gegen den Titelverteidiger starten würde. Es wurde ein wunderschönes Spiel für mich: 45 Paraden.
Aebischer über Berra: «Geschmeidig und athletisch»
David Aebischer (47) ist seit zehn Jahren Goalie-Trainer von Fribourg-Gottéron. Er war früher selbst wie Reto Berra (38) langjähriger Schweizer Nationalgoalie und spielte in der NHL, wo er mit Colorado Avalanche als Back-up-Goalie 2001 gar den Stanley-Cup gewann. Er sagt gegenüber dem «Klotener Anzeiger» zu Gottérons aktuellen Nummer 1 und dem zukünftigen Stammgoalie, Klotens derzeit verletzten Nationalkeeper Ludovic Waeber (28): «Reto kann das Spiel sehr gut lesen und nutzt seine Körpergrösse von 1,94 Meter. Für einen grossen Torhüter bewegt er sich sehr gut und geschmeidig. Auch ist er athletisch. Er ist für uns sehr, sehr wichtig. Mit ihm im Tor ist es für den Gegner sehr schwierig, uns zu schlagen. Und zu Ludo: Ich kenne ihn schon lange. Er hat athletische Qualitäten und ist auch menschlich eine gute Person, gut, Reto natürlich auch. Aber wir freuen uns sehr, dass Ludo ab nächster Saison bei uns sein wird.»
Klotens Sportchef Ricardo Schödler (37) sagt über seine langjährige Bekanntschaft mit dem gut eineinhalb Jahre älteren Reto Berra: «Ich spielte seinerzeit bei den Junioren in Kloten. Reto kam dann aber nicht zu Kloten, weil wir Lukas Flüeler (später langjähriger ZSC-Goalie – Red.) engagiert haben. Dann ging er zu den ZSC Lions. Wir redeten dann später zu meiner Zeit als Nationalteam-Manager immer mal wieder über den EHC Bülach (Schödler war da auch mal Sportchef – Red.). An den Olympischen Spielen 2022 in Peking hat mir Berra dann erzählt, er würde gerne einmal für den EHC Kloten spielen, weil er die Nummer 20 wegen Reto Pavoni trägt und das sein grosses Vorbild war.» Richard Stoffel